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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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für Revolte verausgaben, um Zaubereien und Hexenkünste zu betreiben und durch Beschwörung der Götter aller möglichen Welten den Tod des gegnerischen Mittelverteidigers zu erreichen, uneingedenk der Herrschaft des Kapitals, das sie verzückt und schwärmerisch haben will, auf ewig dem Irrealen Verfallen.
    Allmählich verlor ich den Sinn für die Differenz. So wie ich mir langsam abgewöhnte, nach den Rassenunterschieden zu suchen in jenem Universum von Gesichtern, die jahrhundertelange Geschichten von unkontrollierten Kreuzungen erzählten. Ich verzichtete darauf, jeweils genau zu bestimmen, wo der Fortschritt war, wo die Revolte und wo das Komplott — wie Amparos Genossen sich ausdrückten — des Kapitals. Wie konnte ich noch europäisch denken, als ich erfuhr, dass die Hoffnungen der extremen Linken an einem Bischof im Nordosten hingen, der im Verdacht stand, als junger Mann mit den Nazis sympathisiert zu haben, und der jetzt mit unverzagtem Glauben die Fackel der Rebellion hochhielt, zum Entsetzen des Vatikans sowie der Haie von Wall Street, aber zum Frohlocken der mystischen Proletarier, deren Atheismus besiegt worden war vom lieblich-bedrohlichen Bildnis einer Gnädigen Herrin, die schmerzensreich ihr Antlitz über die Not ihres Volkes neigte?
    Eines Morgens, als ich mit Amparo aus einem Seminar über die Klassenstruktur des Lumpenproletariats kam, fuhren wir eine Küstenstraße entlang. Am Strand sah ich Votivgaben aufgereiht, bunte Kerzen und weiße Körbe. Amparo sagte mir, das seien Gaben für Yemanjá, die Göttin der Gewässer. Sie stieg aus dem Wagen, trat andächtig an die Wasserkante und blieb ein Weilchen schweigend dort stehen. Ich fragte sie, ob sie an Yemanjá glaube. Sie fragte wütend zurück, wie ich das denken könne. Dann fügte sie hinzu: »Meine Großmutter brachte mich hierher an den Strand und rief die Göttin an, damit ich schön und gut und glücklich gedeihe. Wer war doch gleich euer Philosoph, der von schwarzen Katzen und Korallenamuletten sprach und gesagt hat: ›Es ist nicht wahr, aber ich glaube daran‹? Gut, ich sage eben: Ich glaube nicht daran, aber es ist wahr.«
    An jenem Tag beschloss ich, für eine Reise nach Bahia zu sparen.
    Aber damals war es auch, heute weiß ich es, dass ich anfing, mich vom Gefühl der allgemeinen Ähnlichkeit einlullen zu lassen: Alles hing irgendwie mit allem zusammen, alles konnte mysteriöse Analogien mit allem haben.
    Als ich nach Europa zurückkehrte, verwandelte ich diese Metaphysik in eine Mechanik — und deshalb bin ich in die Falle gegangen, in der ich nun sitze. Aber damals bewegte ich mich in einem Dämmerlicht, in dem die Unterschiede verschwammen. Rassistisch dachte ich, dass die Glaubensvorstellungen anderer für den starken Mann Gelegenheiten zu frivoler Ausschweifung seien.
    Ich erlernte Rhythmen und Bewegungsweisen, um Geist und Körper gehen zu lassen. Ich sagte es mir vorgestern Abend im Periskop, als ich, um gegen das Kribbeln in meinen Gliedern anzukämpfen, die Beine bewegte, als schlüge ich noch das Agogõ. Siehst du, sagte ich mir, um dich der Macht des Unbekannten zu entziehen, um dir selbst zu beweisen, dass du nicht an diese Dinge glaubst, akzeptierst du ihren Zauber. Wie ein bekennender Atheist, der nachts den Teufel sieht und sich gut atheistisch sagt: Er existiert nicht, was ich da sehe, ist bloß eine Täuschung meiner erregten Sinne, vielleicht liegt es an meiner Verdauung; aber er weiß das nicht, er glaubt an seine umgekehrte Theologie. Was könnte ihm, der seiner Existenz so sicher ist, Angst einjagen? Du schlägst das Kreuz, und der andere, gläubig, verzieht sich mit Blitz und Schwefelgestank.
    So erging es mir wie einem übergescheiten Ethnologen, der jahrelang den Kannibalismus studiert hat und dann, um die Dummheit der Weißen herauszufordern, überall erzählt, dass Menschenfleisch köstlich schmecke. Unverantwortliches Gerede, denn er weiß, dass er's nie wird probieren müssen. Bis schließlich jemand, begierig auf Wahrheit, es an ihm ausprobiert. Und während der Gute Stück für Stück verzehrt wird, bedauert er, dass er nun nie mehr erfahren wird, ob er recht gehabt hatte, und hofft geradezu, dass sein Fleisch gut schmeckt, um wenigstens seinen Tod zu rechtfertigen. So ähnlich erging es mir vorgestern Abend im Periskop: ich musste geradezu glauben, dass der Große Plan wahr sei, andernfalls wäre ich in den letzten zwei Jahren der omnipotente Schöpfer eines schrecklichen Albtraums gewesen.

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