Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
sich über die rechte Schulter. »Ich muss jetzt wirklich los. Wenn ich noch mal erwischt werde, muss ich bestimmt nachsitzen. Und dann ist zu Hause echt die Kacke am Dampfen.«
»Na, hau schon ab.« Herr Waldmann gab Adrian grinsend einen liebevollen Klaps auf den Hinterkopf. »Aber geh vorn rum. Der Major hat sich am Hintereingang auf die Lauer gelegt«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
»Danke, Mann, mach ich.« Dann rannte er los.
Der Schulhof war menschenleer. Adrian lief an der Turnhalle vorbei, kletterte über die niedrige Mauer, die den Sportbereich vom Hauptgebäude trennte, schlug sich durch ein Gebüsch und hielt sich dann dicht an der Wand, bis er den Haupteingang erreichte. Er zog die Tür auf und schlüpfte hinein.
In der Aula roch es nach Bohnerwachs, die Luft war zum Ersticken warm. Adrian sah nach links, wo sich das Lehrerzimmer befand. Eine Treppe tiefer lag der Hintereingang, an dem sich Waldmann zufolge der Major postiert hatte, um die Schlafmützen dieser Welt auf frischer Tat zu ertappen. Wenn es stimmte, war er gerettet. Wenn er es aber nicht schaffte, vor Kröger in der Klasse zu sein, war er definitiv fällig: Denn jetzt stand eine Doppelstunde Mathe beim Major auf dem Stundenplan.
In Windeseile hechtete Adrian die Treppe in den zweiten Stock hinauf, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Er erreichte den oberen Treppenabsatz und spähte nach rechts und links den Flur hinunter. Er sah gerade noch Krögers breiten Rücken und wie der Rektor in den Raum für Lehrmittel einbog. Also hatte sich der Major überhaupt nicht mehr am Hintereingang herumgedrückt. Es war aber auch auf gar nichts mehr Verlass.
Verdammte Hacke, wenn der mich bemerkt, kann ich einpacken.
Adrian lief, so schnell und so leise er konnte, nach rechts den Flur hinunter, schlitterte über den spiegelglatten Linoleumfußboden, bremste vor der offenen Klassentür und stolperte mehr zu seinem Platz, als dass er lief. Er streifte seinen Rucksack ab und warf ihn unter den Tisch, zog die Jacke aus und hängte sie hinter sich über die Stuhllehne. Seine Pobacken berührten gerade den Stuhl, als der Major den Klassenraum betrat. Schweigend, majestätisch und wuchtig.
Wie immer ließ er die Tür offen stehen, ging am Lehrerpult vorbei zur Fensterseite und riss alle Fenster auf. Das tat er grundsätzlich, ob Sommer oder Winter. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen blieb der Major dort stehen und ließ seinen Blick kalt durch die Reihen der Schüler wandern. Dann blieb sein Blick an Hannah haften, die sofort zu kauen aufhörte. Als sein Blick auch danach noch immer unverwandt auf ihr lastete, stand sie auf, nahm den Kaugummi aus dem Mund und warf ihn in den Papierkorb bei der Tür. Mit gesenktem Kopf und kleinen, schnellen Schritten ging sie zu ihrem Platz zurück. Das Prozedere wiederholte sich. Nach und nach standen auch Leon, Sebastian und Patrick auf.
Kröger schloss die Fenster eins nach dem anderen wieder, ging langsam zum Pult und setzte sich, die Handflächen auf der Tischplatte. Die Klassentür blieb weiter offen. Es herrschte Totenstille. Eine Minute verging, zwei …
»Bertram!« Die Hand war auf die Tischplatte geknallt und Krögers Stimme durchschnitt die Stille wie Donnerhall. Adrian wäre vor Schreck fast aufgesprungen.
Alle lachten.
»Ja?« Innerlich bereitete sich Adrian schon auf irgendeine erniedrigende mathematische Tortur an der Tafel vor, die unweigerlich mit Krögers Worten »Danke. Setzen, sechs« enden würde. Es war immer dasselbe Lied. Doch er irrte sich.
»Herr Waldmann hat mir erzählt, du hilfst ihm manchmal mit seinem Computer. Ist das korrekt, Adrian?«
Adrian nickte. »Wenn er Probleme mit dem WLAN hat oder der Drucker nicht richtig funktioniert«, sagte er. »Nichts Großartiges. Ab und an so Sachen eben.«
»Ich hörte, du hättest da einiges auf dem Kasten.«
»Na ja, geht so.«
»Herr Waldmann war voll des Lobes.«
»Ich gebe mir halt Mühe«, sagte Adrian, dem das Ganze langsam peinlich wurde. »Das ist alles.«
Der Major lehnte sich gemächlich zurück und umklammerte die Hosenträger, die er über seinem Hemd trug, wie ein Soldat die Riemen seines Marschgepäcks. In sein ansonsten unbewegtes Gesicht hatte sich der Hauch eines wohlwollenden Lächelns geschlichen. »Das ist auch Mathematik, falls es dir aufgefallen ist«, sagte er. »Weiter so, Adrian. Gut, der Mann!«
Der Rest des Schulvormittags verlief ereignislos.
Vor lauter Aufregung fast
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