Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Bürotür trat, sie vorsichtig einen Spalt öffnete und horchte. Von unten drangen nach wie vor Geräusche nach oben. Es war also immer noch jemand im Haus. Lautlos schloss er die Tür wieder und wandte sich dem Jungen zu.
»Wir gehen übers Dach«, sagte er und entriegelte dabei, so leise es ging, das schmalere der beiden Veluxfenster. »Du zuerst.«
Und noch ehe Adrian etwas erwidern konnte, hatte Talbot ihn auch schon mit kräftigen Händen gepackt und zum Fenster hinaus aufs Dach gehoben. Er selbst wartete ab, bis Adrian Platz gemacht hatte. Dann reichte er dem Jungen den Koffer hinaus und zog sich wie ein Reckturner am Fensterrahmen hoch.
Die Sonne brannte erbarmungslos. Die alten schwarzen Dachziegel waren heiß wie Herdplatten. Talbot schloss das Fenster so gut, wie es von außen eben möglich war, und stieg am Schornstein vorbei zum Giebel hinauf, wo Adrian bereits flach auf dem Bauch lag und hinunter auf die Straße schaute.
In der Ferne waren die roten Dächer und hohen weißen Türme der Altstadt zu erkennen.
Verdächtiges war nicht zu sehen. Wer auch immer ins Haus gekommen war, er hatte seinen Wagen entweder nicht in Sichtweite des Hauses abgestellt oder er war mit einem der schon längere Zeit dort unten stehenden Autos gekommen, denn nach wie vor parkten dieselben Fahrzeuge in der Straße.
Nach einer kurzen Bestandsaufnahme war klar, dass sie das Dach aufgrund der Hanglage des Hauses nach hinten hin nicht verlassen konnten – dort ging es 15 Meter in die Tiefe. Nach vorn über den Balkon in den Garten hinunterzuklettern, kam ebenfalls nicht infrage – zu groß war die Gefahr, von einem der Eindringlinge bemerkt zu werden. Blieb also nur noch die Möglichkeit, über das direkt angrenzende Dach des Nachbarhauses zu klettern.
»Sei leise«, sagte Talbot, der vorsichtshalber in das Dachfenster des besagten Nachbarhauses spähte und einen dicken, bärtigen Kerl auf einem schicken schwarzen Designersofa liegen sah. Dieser Weg war ihnen also ebenfalls versperrt. »Euer Nachbar macht ein Nickerchen. Wir wollen ihn nicht aufwecken.« Den kleinen Koffer vor sich herschiebend, krabbelte Talbot wie ein Hund auf allen vieren bis zum Rand des Daches und bedeutete Adrian, ihm zu folgen. Nach einem kurzen Blick über die Dachkante nach unten sagte er: »Ich hatte gehofft, wir könnten das vermeiden. Aber es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Wir müssen da runter.«
»Hey, wissen Sie wie tief das ist?«
Talbot nickte. »Vielleicht sechs Meter. Ist halb so wild. Da unten steht ein sehr stabil aussehendes Holzspalier für Rosen. Du kannst dich draufstellen und daran runterklettern. Und nun los. Du schaffst das. Ich halte dich.«
Adrian legte sich bäuchlings aufs Dach und ließ die Beine über den Rand baumeln. Langsam rutschte er Stück für Stück weiter, bis nur noch sein Oberkörper auf dem Dachüberstand lag. Talbot hatte ihn bei den Schultern gepackt.
»Kommst du mit den Füßen an das Spalier?«
Eine Weile tastete er unsicher mit den Füßen herum, ehe er das Spalier fand. »Ja«, sagte Adrian dann. Sein Atem ging keuchend. »Ja. Ich denke, ich habe festen Halt.«
»Gut so. Ich lasse dich jetzt langsam runter.«
»Halt! Warten Sie!«
»Was ist denn los?«
»Ich habe mein Album liegen lassen.«
»Album?« Talbot glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Was für ein Album?«
»Mein Fotoalbum«, sagte Adrian. »Ich muss noch mal zurück. Da sind die Fotos meiner Eltern drin.«
»Für so was haben wir jetzt keine Zeit mehr, Junge. Du wirst es verschmerzen. Also los, weiter.«
»Nein!« Adrian zog sich wieder auf die Dachkante hoch. »Nein, das werde ich nicht! Die Bilder sind alles, was ich von ihnen noch besitze! Ohne das Album gehe ich nirgendwohin, verstanden?«
»Verdammt!« Talbot erkannte die Entschlossenheit in Adrians Augen und wusste, der Junge würde sich nicht davon abbringen lassen, das Album zu holen. »Klettere du runter. Ich gehe noch mal zurück. Wo ist das Album?«
»In meinem Zimmer. Es liegt neben dem Bett«, sagte Adrian. »Sie kommen doch wieder, oder?«
»Keine Sorge«, versicherte Talbot. Er zog seinen Gürtel aus der Hose, machte eine Schlinge um den Griff des Koffers und zurrte das andere Ende an Adrians Gürtel fest. Dann hielt er den Jungen, bis der sich selbst festhalten konnte. »Ich finde dein Album schon. Wenn ich in zehn Minuten nicht wieder da bin, schnappst du dir den Koffer und gehst zur Polizei.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Was denkst du denn? Und
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