Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
steckt.«
»Jedenfalls war er zur Tatzeit nicht hier, davon können wir ausgehen.« Millycent zog eine Augenbraue hoch und seufzte. »Sonst hätten wir jetzt wahrscheinlich noch eine Leiche.«
Purdy nickte. »Schätze, der ist mit Freunden unterwegs und ahnt nichts Böses. Wenn er heimkommt, muss jemand da sein, der sich um ihn kümmert. Soll ich Meldung machen?«
»Warte noch, auch wenn es wenig Sinn hat. Lass uns erst noch nach dem Koffer suchen. Falls der Junge inzwischen nach Hause kommt, kriegen wir es ja mit.«
»Den Koffer werden wir hier aber nicht finden, Milly.«
»Und was macht dich da so sicher?«
»Ich nehme an, der Mörder hat ihn.«
»Nicht zwangsläufig«, stellte Millycent fest. »Wie du selbst gesagt hast, hat der Killer wahrscheinlich nichts aus Frau Bertram herausbekommen. Weil sie nichts von dem Koffer wusste. Und als ihm das klar wurde, hat er sie erschossen. Demnach muss der Junge den Koffer ersteigert haben. Das liegt doch auf der Hand.«
»Ja, schon. Aber worauf willst du hinaus?«
»Na, ist doch ganz einfach. Vielleicht hat der Junge den Koffer versteckt. Womöglich so gut, dass der Killer ihn nicht fand.«
»Klingt einleuchtend.«
»Dann lass uns schleunigst nachsehen, ob wir was finden können.« Sie sah Maxwell Purdy eindringlich an. »Danach können wir immer noch Meldung machen. Okay?«
Purdy nickte langsam. »Okay, Milly«, sagte er, auch wenn das ganz und gar gegen die Vorschriften verstieß.
Und so brachten sie die nächsten Stunden damit zu, nach dem Koffer zu suchen oder wenigstens verwertbare Spuren des Täters zu finden. Sie stellten das ganze Haus auf den Kopf – vom Keller bis zum Dach. Jede Schublade wurde geöffnet, jedes Bild abgenommen und unter jeden Teppich geschaut. Der Koffer blieb verschwunden. Dafür gab es eigentlich nur zwei vernünftige Erklärungen: Entweder war der Koffer doch in der Hand desjenigen, der Margret Bertram getötet hatte, oder der Junge hatte ihn außerhalb des Hauses versteckt. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, sie hatten es vermasselt. Und ohne ein konkretes Ergebnis wollten sie Mr Night nicht unter die Augen treten.
Sie mussten unbedingt einen Anhaltspunkt finden. Irgendetwas. Eine Kleinigkeit wenigstens, die sie ein Stück weiterbrachte. Auch wenn das weitere Stunden Arbeit bedeuten würde.
Und dann, als sie selbst schon nicht mehr damit rechneten, wurden sie gegen Abend doch noch fündig.
Es war ein einzelner blutiger Daumenabdruck, den Maxwell Purdy unter der Arbeitsplatte des Küchentisches entdeckte. Breit und kräftig. Kein besonders schönes Exemplar, aber vielleicht gut genug, um ihn mit der Datenbank abgleichen zu können. Wenn er dort gespeichert war, hatten sie ihren Mörder.
Vorsichtig drückte Millycent einen Streifen transparenter Klebefolie auf den Abdruck und zog den Daktylografen aus der Halterung an ihrem Gürtel – einen kleinen, mobilen Fingerabdruckscanner im Taschenformat, der wie die Watts Blaster zur Standardausrüstung der Agenten gehörte. Dann zog sie den Klebestreifen von der Tischplatte ab und übertrug ihn auf die ausziehbare Scannfläche des Daktylografen. Das Gerät war nicht größer als ein herkömmliches Handy. Sie schloss die Klappe, wartete, bis die rote Kontrolldiode aufhörte zu blinken und konstant leuchtete – das Zeichen, dass das Gerät den Abdruck als solchen erkannt hatte. Danach drückte sie auf SCAN. Es dauerte nur eine Minute bis der Daktylograf die Daten mit den Hauptkarteien der Agency in London abgeglichen hatte und das Ergebnis feststand. Das war ungewöhnlich schnell. Meist dauerte so etwas zehn, 15 Minuten. Zumal automatisch auch sämtliche Dateien von Interpol in Lyon überprüft wurden. Ein dreifaches akustisches Signal ertönte. Der Scan war abgeschlossen und hatte ein eindeutiges Resultat erbracht. Als sie das Ergebnis jedoch ablasen, erlebten sie eine böse Überraschung: Margret Bertrams Mörder war einer der ihren! Nun ja, beinahe. Denn der Abdruck gehörte dem ehemaligen Agency-Mitarbeiter Lawrence Stewart Talbot. Jetzt hatten sie keine Wahl mehr. Sie benötigten dringend Verstärkung.
Millycent klappte ihr Handy auf und rief die Zentrale an.
Rains wurde immer ungeduldiger. Ruhelos rutschte er auf dem Rücksitz des Mietwagens hin und her und hatte vor lauter Nervosität bereits ein ziemlich großes Loch in den Daumen seines rechten Fingerhandschuhs gebissen, denn noch hatte er sich nicht dazu durchringen können, seine Kleider abzulegen.
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