Das fremde Gesicht
Abends vor zehn Jahren hatte sie angekündigt, sie werde am nächsten Tag den Keller inspizieren, um zu sehen, ob Bernard alles hübsch in Ordnung hielt.
Ihm war damals klar, daß er das nicht zulassen durfte. Er hatte sich gerade seinen ersten Polizeifunkempfänger gekauft. Mama hätte gemerkt, daß es ein teures Gerät war.
Sie nahm an, daß er nur einen alten Fernsehapparat da unten hatte und ihn benutzte, wenn sie im Bett war, damit sie nicht gestört wurde.
Mama sah sich nie seine Kreditkartenabrechnungen an.
Sie fand, er müßte es lernen, sich selbst darum zu kümmern. Sie gab ihm auch die Telefonrechnung im verschlossenen Kuvert, denn »ich rufe eh nie jemand an«, wie sie sagte. Sie hatte keine Ahnung, wieviel Geld er für Geräte ausgab.
Als er sie dann in jener Nacht gleichmäßig schnarchen hörte und wußte, daß sie fest schlief, hatte er die oberen Treppenstufen gelockert. Sie war dann ordentlich gestürzt.
Ihre Hüfte war völlig zertrümmert. Monatelang mußte er sie in jeder Hinsicht bedienen, aber die Sache war es wert gewesen. Daß Mama wieder nach unten ging? Danach bestimmt nicht mehr.
Bernie entschied sich widerstrebend, wenigstens den Vormittag über zu arbeiten. Meghans Mutter hatte gesagt, sie käme heute zurück. Das konnte irgendwann heute bedeuten. Er konnte nicht noch einmal anrufen und sich als Tom Weicker ausgeben. Vielleicht hatte Meghan bereits im Sender angerufen und herausgefunden, daß Tom gar nicht versucht hatte, sie zu erreichen.
Der Tag war nicht günstig dafür, Fahrgäste aufzutreiben.
Er stand in der Nähe der Gepäckausgabe herum, mit den anderen »Zigeunerfahrern« und diesen Chauffeuren mit ihren dicken Schlitten und den Namensschildern der Fahrgäste in der Hand, auf die sie warteten.
Er ging auf eintreffende Passagiere zu, während sie die Rolltreppe herunterkamen. »Sauberer Wagen, billiger als ein Taxi, prima Fahrer.« Seine Lippen fühlten sich wie in einem ewigen Lächeln erstarrt an.
Das Dumme war, daß so viele Schilder herumhingen, auf denen die Reisenden davor gewarnt wurden, mit Wagen zu fahren, die nicht offiziell als Taxis zugelassen waren. Mehrere Leute wollten schon mit ihm einig werden, änderten dann aber ihre Meinung.
Eine alte Frau ließ ihn ihre Koffer zum Bordstein tragen und erklärte dann, sie würde auf ihn warten, bis er sein Auto geholt hätte. Er versuchte das Gepäck mitzunehmen, aber sie plärrte ihn an, er solle es hinstellen.
Die Leute drehten sich nach ihm um.
Hätte er sie bloß allein zu fassen gekriegt! Ihm Scherereien machen zu wollen, obwohl er doch nur nett zu sein versuchte! Aber er wollte natürlich keine Aufmerksamkeit erregen, also erklärte er: »Aber ja, Ma’am. Ich hol’ ganz schnell den Wagen her.«
Als er fünf Minuten später vorfuhr, war sie verschwunden.
Jetzt reichte es ihm endgültig. Heute würde er keine miesen Trottel herumfahren. Ohne ein Paar zu beachten, das nach ihm rief und fragte, was er nach Manhattan verlange, fuhr er los, zum Grand Central Parkway und wählte, nachdem er die Maut für die Triborough Bridge bezahlt hatte, die Ausfahrt zur Bronx, dieselbe, die auch nach New England führte.
Mittags saß er mit einem Hamburger und einem Bier an der Bar im Drumdoe Inn, wo Joe, der Barkeeper, ihn wie einen alten Stammgast begrüßte.
50
Catherine ging am Mittwoch morgen zum Gasthof hinüber und arbeitete bis halb zwölf im Büro. Es gab zwanzig Reservierungen zum Mittagessen. Selbst wenn noch unangemeldete Gäste dazukamen, konnte Tony sehr gut allein mit der Küche fertig werden, das wußte sie. Sie ging lieber nach Hause, um Edwins Akten weiter durchzusehen.
Als sie durch den Empfangsbereich kam, warf sie einen Blick in die Bar. Dort saßen schon zehn oder zwölf Leute, darunter einige mit einer Speisekarte. Nicht schlecht für einen Werktag. Zweifellos fing die Wirtschaft an, sich zu erholen. Besonders am Abend war der Betrieb fast wieder so gut, wie er es vor der Rezession gewesen war.
Doch das hieß noch lange nicht, daß sie den Gasthof halten konnte.
Als sie in ihr Auto einstieg, dachte sie, wie verrückt es eigentlich war, daß sie sich nicht dazu zwang, die kurze Entfernung zwischen Haus und Gasthof zu Fuß zu gehen.
Ich hab’s ständig eilig, dachte sie, aber leider wird das wohl bald nicht mehr nötig sein.
Der Schmuck, den sie am Montag verpfändet hatte, hatte viel weniger gebracht, als sie erwartet hatte. Ein Juwelier hatte angeboten, alles in Kommission zu nehmen, sie
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