Das fremde Haus
machen, lässt du deinen Worten Taten folgen. Wenn es erst in der Lokalpresse erscheint, wenn die Einwohner von Cambridge davon erfahren und in Panik geraten, werden DC Ian Grint und seine Kumpels sich nirgendwo mehr verstecken können.«
»Wovon redest du überhaupt?« Fran lacht. »Die Leute aus der Nachbarschaft werden nicht in Panik geraten. Bei dir klingt es ja, als würde ein wahnsinniger Amokläufer die Straßen von Cambridge unsicher machen. Würdest du etwa in Panik geraten, wenn du hörst, dass in Little Holling jemand ermordet wurde, solange du keinen Grund hast anzunehmen, dass du selbst in Gefahr sein könntest?«
»Das wird nie passieren«, erklärt unsere Mutter. »Deswegen leben wir ja in Little Holling – weil es hier sicher ist und niemand uns in unseren Betten ermorden wird.«
»Cambridge ist auch nicht direkt Ruanda, oder, und trotzdem scheint dort jemand ermordet worden zu sein«, feuert Fran zurück.
»Cambridge ist eine Stadt, und … Leute von überall her wohnen da. In einer Stadt kennt keiner keinen, es gibt kein Gemeinschaftsgefühl. So etwas wie das, was Connie gesehen hat, könnte hier nicht passieren, und falls doch, würde die Polizei ordentlich ermitteln.«
»Definiere ›hier‹.« Fran schaut mich unterstützungsheischend an. Ich wende den Blick ab. Ich kann es nicht riskieren, mich auf eine Diskussion mit meiner Mutter einzulassen, da ich fürchte, ich könnte mich sonst vergessen und versehentlich die Bemerkung fallen lassen, wenn jemand in Little Holling ermordet werden sollte, dann sie selbst, und zwar von mir. »Cambridge ist nicht so weit weg. Ich bin sicher, die Mordrate ist dort ziemlich niedrig, weil die Leute, die dort leben, im Allgemeinen intelligent sind und etwas Besseres zu tun haben, als sich gegenseitig umzubringen. Wohingegen im Culver Valley …«
»Das Culver Valley gehört zu den sichersten Orten in England«, beteuert mein Vater.
»Machst du Witze? Anton, sag’s ihm! Lest ihr denn nicht die Lokalblätter? In den letzten Jahren gab es in Spilling und Silsford mehrere …« Fran verstummt. Benji zupft sie am Arm. »Ja, Schätzchen? Was ist?«
»Was ist ein Mord? Heißt das so, wenn Leute sterben, weil sie hundert Jahre alt sind?«
»Jetzt schau dir nur an, was du getan hast!«, jammert meine Mutter. »Der arme kleine Benji. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen, Engelchen. Wir kommen alle in den Himmel, wenn wir sterben, und im Himmel ist es wunderschön – nicht wahr, Opa?«
»Engel?« Fran sieht aus, als wollte sie sich gleich auf meine Mutter stürzen. Ich glaube, ich habe sie noch nie so wütend gesehen. »Wir befinden uns auf der Erde, Mutter, nicht im Himmel, und sein Name ist Benji.«
»Gleich Montagmorgen, Kit.« Mein Vater droht ihm mit dem Finger. »Gib’s diesem DC Ian Grint!«
Ich muss weg von ihnen allen. Ich murmle etwas von Tee und Kuchen und zwinge mich, den Raum in ruhigem Tempo zu verlassen und nicht loszurennen, was ich am liebsten tun würde. In der Küche schließe ich die Tür und lehne mich dagegen. Wie lange kann ich mich hier verstecken? Für immer?
Ein Klopfen zerstört diese Fantasie. Kit. Es muss Kit sein – ich kann hören, wie meine Eltern und Fran sich im Wohnzimmer streiten. Am liebsten würde ich ihn nicht reinlassen, aber als seine Ko-Verschwörerin habe ich keine Wahl. Vielleicht hat er mir etwas Wichtiges bezüglich der Aufrechterhaltung der Lüge mitzuteilen, die wir heute Nachmittag meiner Familie präsentieren: unsere angeblich glückliche Ehe.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt er.
»Nein. Und mit dir?«
»Ich halte mich so gerade über Wasser. Servieren wir schnell Tee und Kuchen, vielleicht werden wir sie dann früher los.«
»Sie werden um Viertel nach sieben gehen, egal, was wir tun, meinst du nicht?« Kit sollte es besser wissen. Es ist sinnlos zu hoffen, dass hier irgendwas einmal anders ablaufen könnte. »Mein Vater und Anton werden direkt danach in den Pub gehen und ihr Freitagabend-Bierchen trinken, und meine Mutter wird mindestens eine halbe Stunde lang damit beschäftigt sein, Fran zu helfen, Benji ins Bett zu bringen. Ich bringe dich um fünfundzwanzig nach sieben zur Bahn – dann bin ich rechtzeitig zurück. Wenn später jemand herschauen sollte, stehen unsere beiden Autos in der Auffahrt, und alle werden annehmen, dass wir beide hier sind.«
Kit nickt. Ich fülle den Wasserkocher und schalte ihn ein, dann hole ich den im Laden gekauften Geburtstagskuchen aus dem
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