Das fremde Haus
verletzt«, sage ich. »Sie war tot. So viel Blut kann ein Mensch gar nicht verlieren und noch am Leben sein. Und ich bin gern bereit, mit der zuständigen Stelle zu sprechen – nennen Sie mir einen Ansprechpartner und wie ich ihn erreichen kann, dann mache ich das.«
Hat Kit geseufzt, oder war das nur Einbildung?
»Gut.« Sam K. schenkt sich eine Tasse Tee ein und holt Notizbuch und Stift heraus. »Warum gehen wir nicht ein paar Details durch? Die Anschrift des infrage stehenden Hauses ist Bentley Grove 11, korrekt?«
»Bentley Grove 11, Cambridge. CB2 9AW.« Siehst du, Kit? Ich weiß sogar die Postleitzahl auswendig.
»Erzählen Sie mir genau, was passiert ist, Connie. In Ihren eigenen Worten.«
Wessen Worte sollte ich denn sonst benutzen? »Ich habe mir im Internet Immobilien angeschaut, auf der Roundthehouses-Seite.«
»Um welche Zeit war das?«
»Spät. Viertel nach eins.«
»Dürfte ich fragen, warum so spät?«
»Manchmal leide ich unter Schlafstörungen.«
Kurz entstellt ein höhnisches Grinsen Kits Gesicht, das niemand außer mir bemerkt. Mein Mann hat gerade gedacht, wenn das wahr ist mit den Schlafstörungen, ist es meine eigene Schuld, weil ich meinen Wahnvorstellungen nachgegeben habe, weil ich beschlossen habe, mich mit imaginären Problemen zu quälen. Er ist normal und geistig gesund, daher schläft er gut.
Wie kann es sein, dass ich ihn gut genug kenne, um seine Gedanken lesen zu können, und gleichzeitig fürchte, ihn überhaupt nicht zu kennen? Wenn ich eine Röntgenaufnahme seiner Persönlichkeit vorliegen hätte, würden dann nur die Teile zu sehen sein, von denen ich weiß, dass sie da sind – seine Überzeugung, dass der Tee besser schmeckt, wenn man ihn in einer Kanne zubereitet und zuerst die Milch in die Tasse gibt, sein Ehrgeiz und sein Perfektionismus, sein surrealer Sinn für Humor –, oder wäre in der Mitte eine fremdartige schwarze Substanz zu sehen, bösartig und grauenerregend?
»Warum ein Immobilienportal, und warum Cambridge?«, will Sam K. von mir wissen. »Überlegen Sie, nach Cambridge zu ziehen?«
»Ganz sicher nicht«, sagt Kit mit Nachdruck. »Wir haben gerade erst diesem Haus den letzten Schliff gegeben, sechs Jahre, nachdem wir es gekauft haben. Ich will es noch mindestens ebenso lange genießen. Ich habe Connie schon gesagt: Wenn wir in den nächsten sechs Jahren ein Baby bekommen, wird es in einer Schreibtischschublade schlafen müssen.« Grinsend greift er nach einem Keks. »Ich habe nicht so viel Arbeit in dieses Haus gesteckt, damit jemand anderes die Früchte erntet. Außerdem haben wir eine Firma, die wir von hier aus leiten, und Connie hat sich beim Briefpapier etwas mitreißen lassen. Wir können erst umziehen, wenn wir noch mindestens viertausend Geschäftsbriefe geschrieben haben.«
Ich weiß, was passieren wird, bevor es tatsächlich passiert: Sam K. wird sich nach unserer Firma erkundigen. Kit wird ausführlich antworten, denn es ist unmöglich, auf die Schnelle zu erklären, was wir machen, und mein Mann liebt das Detail. Es wird noch dauern, bis ich über die Tote sprechen kann.
Connie hat sich mitreißen lassen.
Hat er das absichtlich gesagt, um Sam K. den Eindruck zu vermitteln, dass ich ein Mensch bin, der sich leicht mitreißen lässt? Jemand, der sechs Mal mehr Geschäftsbriefpapier bestellt als nötig, könnte leicht auch eine Leiche halluzinieren, die in ihrem Blut liegt?
Ich höre zu, während Kit unsere Arbeit erläutert. Seit drei Jahren sind die etwas mehr als zwanzig Vollzeitmitarbeiter von Nulli Secundus für die London Allied Capital Bank tätig. Die Bankengruppe wird von der US-Regierung strafrechtlich verfolgt. Wie viele britische Banken hat sie über eine lange Zeit amerikanische Vorschriften gebrochen, die den Umgang mit finanziellen Unterstützern von Terrorismus regeln. Sie hat unwissentlich für Personen und Unternehmen, die auf der schwarzen Liste stehen, Transaktionen in Dollar abgewickelt. Die London Allied Capital überschlägt sich zurzeit fast, um das Unrecht wiedergutzumachen und sich beim OFAC lieb Kind zu machen, dem Office of Foreign Assets Control, der amerikanischen Behörde zur Kontrolle von Auslandsvermögen. Es ist ein Versuch, den Schaden zu minimieren, der fast mit Sicherheit eine Geldstrafe in Multimillionenhöhe sein wird. Nulli Sucundus wurde angeheuert, um datenfilternde Systeme zu entwickeln, die es der Bank in Zukunft ermöglichen werden, alle zweifelhaften finanziellen Transaktionen ans
Weitere Kostenlose Bücher