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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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schon in der Küche von Thorrold House stand, bevor ich geboren wurde. Meine Mutter eilt geschäftig umher, kocht, sorgt für Getränke und bedient alle. Hilfsangebote lehnt sie grundsätzlich ab, damit sie stöhnen und sich das Kreuz reiben kann, wenn sie endlich mit dem Einräumen der Geschirrspülmaschine fertig ist. Anton, ganz der Typ, der zu cool ist, um gerade zu stehen, lehnt sich gegen den Herd, der früher mal rot war, jetzt aber, nach jahrelangem Gebrauch, mit einem feinen Muster aus silbernen Kratzern überzogen ist. Fran umhätschelt Benji und versucht, ihm einen Bissen Chicorée, ein Blatt Spinat oder eine Erbse in den Mund zu zwingen und bietet ihm als Anreiz dafür eimerweise Schoko-Mousse, Berge von Chips und Unmengen zuckriger Quarkbällchen an.
    Und ich sitze auf dem Schaukelstuhl am Fenster und gebe mich der Fantasie hin, mir eine dicke Decke um den Kopf zu wickeln, um mich selbst zu ersticken und so das Verlangen zu unterdrücken, eine Anmerkung dazu zu machen: »Wäre es nicht besser für ihn, wenn er Fisch, Kartoffeln und keine Zucchini isst anstatt Fisch, Kartoffeln, ein bisschen Zucchini, zwanzig Schachteln Benson & Hedges, eine Flasche Wodka und etwas Crack? War nur eine Frage.«
    Ich bin am gemeinsten, wenn ich mit meiner Familie zusammen bin. Ein guter Grund, dass ich nicht direkt um die Ecke wohnen sollte.
    »Glaubst du, ich sollte sie unter kaltes Wasser halten?«, fragt meine Mutter meinen Vater und streicht über ihre Hand. »Macht man das bei Verbrennungen nicht so? Oder sollte man Butter darauf tun? Ich habe mich seit Jahren nicht mehr verbrannt.« Sie hat die Hoffnung aufgegeben, die Aufmerksamkeit von Fran oder Anton auf sich zu ziehen. Aber sie ist wirklich eine Idiotin, wenn sie nicht sieht, dass mein Vater zu wütend auf mich ist, um groß auf sie achten zu können. Das Ausmaß seines Zorns wird an seiner Haltung deutlich: Kopf gesenkt, Stirn gerunzelt, Schultern fest und hochgezogen, Hände zu Fäusten geballt. Er trägt ein blaugelb gestreiftes Hemd, aber ich bin mir sicher, wenn Alice hier wäre, würde sie mir zustimmen, dass die Energie, die er ausstrahlt, steingrau ist. Er hat sich seit einer Viertelstunde nicht gerührt. Der breit grinsende, mir auf den Rücken klopfende Papa, der mich in Empfang genommen hat, ist verschwunden und einer Statue oder Skulptur gewichen, die ich, wäre ich die Künstlerin, »Zorniger Mann« nennen würde.
    »Hast du den Verstand verloren?« Er spuckt mir die Worte fast ins Gesicht. »Ihr könnt euch kein Haus für 1,2 Millionen leisten!«
    »Das weiß ich«, sage ich. Es ist nicht nur mein angeblicher finanzieller Leichtsinn, der ihm Sorgen bereitet. Er nimmt es mir übel, dass ich Unruhe in sein Leben gebracht habe, ohne ihn vorher zu fragen. Früher waren wir eine Familie, in der niemand je eine ermordete Frau gesehen hat, die dann auf unerklärliche Weise verschwand. Ich habe das heute geändert.
    »Wenn du weißt, dass du dir ein Haus für 1,2 Millionen Pfund nicht leisten kannst, warum hast du dir dann eins angeschaut?« Meine Mutter tut, als hätte sie mich mit einem besonders cleveren logischen Schachzug überführt. Sie schüttelt den Kopf, langsam und rhythmisch, als hätte sie vor, den Kopf für alle Zeiten von einer Seite zur anderen zu bewegen, als hätte ich ihr mehr als genug Grund für ewige Sorge gegeben. In ihren Augen habe ich mich bereits in den Bankrott gestürzt und Schande über meine Familie gebracht. Sie hat die Fähigkeit, eine Dimension zu betreten, die für die meisten gewöhnlichen Sterblichen viel zu weit weg ist: die »Zehn Jahre später, wenn der schlimmste Fall eingetreten ist«-Zone. Für sie ist sie ebenso real wie der gegenwärtige Moment, sie steht so lebhaft vor ihr, dass die Gegenwart zur Bedeutungslosigkeit herabsinkt.
    »Schaust du dir nie Sachen an, die du dir nicht leisten kannst?«, will ich wissen.
    »Nein, ganz bestimmt nicht!« Gespräch beendet. Zugeschnappt wie die Metallschließe einer altmodischen Geldbörse. Ich hätte es wissen müssen. Meine Mutter tut nie etwas, was nicht absolut vernünftig ist. »Und das solltest du auch nicht, und du würdest es auch nicht tun, wenn du nicht in Versuchung wärst und in Erwägung ziehst, dich bis über beide Ohren zu verschulden.«
    »Mutti, sie würden nie einen so hohen Kredit bekommen«, wirft Fran ein. »Du machst dir Gedanken wegen gar nichts, wie üblich. Sie werden dieses Haus nicht kaufen, weil sie es nicht können. Bei der gegenwärtigen

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