Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
Vom Netzwerk:
lächelte.
    »Bin ich nicht.« Colin Sellers hätte eine spaßige Antwort parat gehabt, aber Sam fiel keine ein.
    Alice schloss die Augen und trank einen Schluck Zitronenlimonade. »Die richtige Zeit wird kommen«, sagte sie.

5
    S AMSTAG , 17. J ULI 2010
    »1,2 Millionen Pfund? Oh … Au! Autsch!« Meine Mutter hat die fünf Becher verfehlt, die aufgereiht auf der Arbeitsplatte stehen, und sich das kochend heiße Wasser über die linke Hand gekippt. Mit Absicht, obwohl ich das nicht beweisen kann. Sie hat sich verbrannt, und das ist meine Schuld, weil ich ihr mehr Sorgen bereite, als sie ertragen kann. Und das nicht zum ersten Mal. Sie will, dass alle es bemerken und mir die Schuld geben. Wenn sie das tun, wenn Fran, Anton oder mein Vater sagen sollten: »Siehst du, was du schon wieder angestellt hast, Con?«, wird sie sich vor mich stellen und mich verteidigen, aber die Verteidigung wird ein verkappter Angriff werden: »Connie kann nichts dafür – ich hätte besser aufpassen sollen, schließlich hatte ich einen Kessel mit kochendem Wasser in der Hand. Aber ich war einfach zu geschockt.«
    Bedeutet das, jemandem nahezustehen – dass man die Begrenzungen, ich-stärkenden Selbsttäuschungen und eigennützigen Gemeinheiten des anderen ebenso gut kennt wie die eigenen? Steht man Menschen dann nahe, wenn man jede ihrer Reaktionen vorhersehen kann, bis hin zum letzten Wort und zur letzten Grimasse? Wenn Enttäuschung und ein krankmachendes Gefühl der Vorhersehbarkeit in einem aufsteigen und einem den Atem abschnüren, bevor auch nur ein Wort gesprochen wurde? Kit würde meinen, diese Analyse sei zu pessimistisch, aber schließlich haben er und seine Eltern sich nie nahegestanden, und mittlerweile hat er überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihnen. Er sagt ständig, dass er mich um meine Zugehörigkeit zum »Monk-Clan«, wie er es nennt, beneidet. Ich wage es nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Er würde mir Undankbarkeit vorwerfen – wahrscheinlich zu Recht.
    Die Wahrheit ist, dass ich meiner Familie lieber nicht ganz so nahestände, weil dann vielleicht gelegentlich einer von ihnen mal etwas tun würde, was mich überrascht. Weil ihre Missbilligung sich dann nicht so tief in mich eingraben und Samenkörner von Selbstzweifeln pflanzen würde, die dazu bestimmt sind, so groß wie Eichen zu werden. Kit ist zumindest frei.
    »Komm schon, Benji«, wispert Fran. »Nur noch ein bisschen Brokkoli, dann bekommst du einen Schokoladenkeks. Bloß die lustigen Röschen oben. Bitte .«
    »Komm schon, Benji, Kumpel – zeig Mami und Papi, wie tapfer du bist. Wie ein Superheld!« Anton macht sich nicht die Mühe, seine Stimme zu senken. Der Gedanke, dass heute in der Küche seiner Schwiegereltern etwas Wichtigeres vorgehen könnte als der Krieg seines Sohnes mit dem Gemüse, kommt ihm gar nicht erst. Er sieht keine Notwendigkeit, die Brokkoli-Verhandlungen im Hintergrund zu führen. Er formt einen Trichter mit seinen Händen und dröhnt: »Kann ein einziger kleiner Junge das Brokkoli-Monster bezwingen? Ist Benji tapfer genug, seinen … Brokkoli … zu essen? Wenn er beweist, dass er so tapfer ist wie ein Superheld, werden zwei Naschis seine Belohnung sein!«
    Bin ich dabei, verrückt zu werden? Hat Anton gehört, was ich eben gesagt habe, hat er mitbekommen, dass ich eine ermordete Frau in ihrem Blut habe liegen sehen und heute Morgen mit einem Ermittler von der Kripo gesprochen habe? Warum sagt ihm keiner, dass er die Klappe halten soll? Hat niemand gehört, was ich gesagt habe? Es erscheint mir ebenso unmöglich wie das, was ich gestern Nacht auf meinem Laptop gesehen habe. Wie kann es sein, dass niemand sich zu dem Thema äußert – das ist unmöglich und doch sehr real, es sei denn, ich habe gänzlich die Fähigkeit verloren, die Wirklichkeit von ihrem Gegenteil zu unterscheiden.
    Kit glaubt, dass es so ist. Vielleicht denkt meine Familie das auch, und deshalb ignorieren mich alle.
    »Sag nicht zwei«, rügt Fran ihren Mann im Singsang-Ton und mit einem übertriebenen Lächeln im Gesicht. Wahrscheinlich, damit ihr gemeinsamer Sohn sich nicht fragen muss, ob das emotionale Gemetzel einer zerbrochenen Familie alles ist, dem er entgegensieht. »Einer ist genug, oder, Benji?«
    »Ich will aber zwei Schokoladenkekse«, heult mein fünfjähriger Neffe, wobei er ganz rot im Gesicht wird.
    Ich mache den Mund auf und schließe ihn wieder. Warum meinen Atem verschwenden? Ich habe getan, weswegen ich hergekommen bin: Ich habe meiner Familie

Weitere Kostenlose Bücher