Das fremde Haus
darauf gewaschen, und die Flecken sind spurlos verschwunden.«
»Connie, musst du denn wirklich …« Kit versucht, mich zum Schweigen zu bringen.
Ich spreche einfach weiter. »Blutflecken lassen sich ganz leicht entfernen: mit kaltem Wasser und Seife …«
»Glauben Sie mir, wenn auf einem beigen Teppichboden ein Mensch verblutet wäre, würde man etwas sehen«, sagt Sam. »Egal, wie viel kaltes Wasser, Seife und Fleckentferner man einsetzt.«
Ich fahre mit den Händen durch mein ungebürstetes Haar und kämpfe gegen die Versuchung an, mich auf den klebrigen Kantinenfußboden zu legen, die Augen zu schließen und aufzugeben.
»Connie, als sie die Leiche der Frau gesehen haben, war da auch dieser Fleck in der Ecke auf dem Foto?«, fragt Sam. »Der Weihnachtsbaumfleck?«
»Ich weiß es nicht.« Nein. Ich glaube nicht. »Er ist mir nicht aufgefallen, aber …« Ich suche nach einer möglichen Erklärung. »Vielleicht wurde das Foto von der toten Frau ja schon vor Jahren aufgenommen, bevor Mr Beater den Weihnachtsbaum in der Ecke aufgestellt hat. Haben Sie daran mal gedacht?«
Sam nickt. »Sie haben eine alte Landkarte beschrieben, die an der Wand hing – erinnern Sie sich?«
»Natürlich erinnere ich mich. Warum auch nicht? Es ist erst zwei Tage her. Ich bin doch nicht senil.«
Er zieht ein Notizbuch aus der Hemdtasche, schlägt es auf und liest vor: »Comitatus Cantabrigiensis Vernacule Cambridgeshire, 1646. Jansson, Johannes. Auch bekannt als Janssonius.« Sam blickt auf. »Sie haben vermutlich noch nie von ihm gehört, oder?«
»Ein Freund der Beaters?«, erwidere ich patzig. Ich kann nicht anders.
»Jansson war ein berühmter holländischer Kartograf – ein Kartenzeichner. Die gerahmte Landkarte, die über Selina Ganes Kamin hängt, ist ein Original und sehr wertvoll. Lorraine Turner hat die Landkarte bewundert, als sie das Haus für Dr. Gane schätzte. Oh, und Sie erwähnten die Wappen – es sind die Wappen der Cambridger Colleges: Trinity, St. John’s …«
»Vergessen Sie das Beste nicht«, sagt Kit. »King’s College.«
»Bekommst du nicht genug Gelegenheit, vor deiner bewundernden Gefolgschaft in London anzugeben?«, fahre ich ihn an. »Musst du das hier auch noch in ein Fest der Prahlerei verwandeln?«
»Das leere Wappenschild wurde mit Absicht leer gelassen – damit der Käufer der Landkarte sein eigenes Familienwappen einfügen konnte«, fährt Sam fort, als wäre ich nicht gerade auf meinen Mann losgegangen. »Dr. Gane hat Lorraine alles darüber erzählt. Die Landkarte gehört verständlicherweise zu ihren hochgeschätzten Lieblingsstücken. Offenbar war es ein Einzugsgeschenk ihrer Eltern, als sie aus Dorchester, wo sie vorher wohnte, nach Cambridge zog.«
Glückliche Selina. Manche Leute bekommen wertvolle alte Landkarten niederländischer Kartenmacher, andere grässliche selbst gestickte Wandbehänge. Offenbar hat Selina Ganes Mutter einen besseren Geschmack als meine. Mir schaudert bei dem Gedanken, wie das Familienwappen der Monks wohl aussehen könnte, wenn wir eins hätten: die Küche von Thorrold House vielleicht. Generationen provinzieller Niemande, angekettet an einen mitgenommenen alten Herd.
Sam schaut mich an. Ich weiß, was er gleich fragen wird.
»Connie, als Sie die Tote gesehen haben, haben Sie da auch die Landkarte gesehen? Haben Sie beides zur selben Zeit in dem Wohnzimmer gesehen, auf demselben Videobild?«
»Ja. Das beweist aber nicht, dass ich mir die Leiche nur eingebildet habe«, füge ich rasch hinzu, obwohl ich fürchte, dass es das sehr wohl tut. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken, ohne dass Kit und Sam mich beobachten.
»Nein?«, sagt Sam. »Mal angenommen, dass Sie recht haben, wann wurde dann das Foto von der Ermordeten aufgenommen? Bevor Selina Gane das Haus gekauft hat? Wie kommt dann Selina Ganes Landkarte an die Wand? Nach ihrem Einzug? In dem Fall hätte das Blut den Teppich ruiniert und sie – oder sonst jemand – hätte ihn ersetzen müssen. Und dank Lorraine Turner wissen wir, dass das nicht geschehen sein kann, weil der durch den Weihnachtsbaum der Beaters verursachte Fleck noch da ist.«
»Komm schon, Connie, das kannst du nicht bestreiten«, sagt Kit, der die Sache gern beschleunigen würde.
»Kann ich das nicht?« Kann ich es bestreiten? Überzeugend? Und warum will ich es unbedingt bestreiten? Warum kann ich nicht froh sein über diesen Beweis, dass ich mich geirrt habe? »Man kann Teppichboden zerschneiden«, erkläre ich
Weitere Kostenlose Bücher