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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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Sie will, dass ich vergesse, dass es Cambridge gibt, dass Kit und ich je daran gedacht haben, nach Cambridge zu ziehen. Ihre größte Angst ist, dass ich Little Holling eines Tages verlassen könnte.
    Meine größte Angst ist, dass ich es nicht tun werde.
    »Kit hat die Adresse eingegeben«, sage ich zu Sam. »Er muss es gewesen sein. Jedenfalls ist es das, was ich im Moment denke. Ich bin schon tausend Mal zu diesem Schluss gelangt, und dann beschuldige ich ihn, und er überzeugt mich wieder, dass er nicht lügt, und er macht das so … glaubwürdig . Ich würde ihm so gern glauben, dass ich mich manchmal frage, ob ich es vielleicht tatsächlich selbst war und die Erinnerung danach aus meinem Gedächtnis gelöscht habe. Denkbar ist es. Aber woher sollte ich das wissen? Vielleicht habe ich ja die Adresse Bentley Grove 11 in Kits Navi gespeichert, vielleicht habe ich Halluzinationen und sehe eine Leiche, die gar nicht da ist. Vielleicht bin ich ja verrückt, richtig verrückt, geistesgestört.« Ich zucke mit den Achseln, und plötzlich ist mir meine Geschichte peinlich. Ich weiß, wie sonderbar und erbärmlich sich das alles anhören muss. »So ist mein Leben seit Januar«, sage ich. »Ich drehe mich im Kreis: glauben, nicht glauben, meine eigene geistige Gesundheit anzweifeln, keinen Schritt weiterkommen. Kein Spaß.«
    »Weder für Sie noch für Kit«, bemerkt Sam. Heißt das, er glaubt, dass Kit die Wahrheit sagt?
    »Einmal hat er sogar die Behauptung aufgestellt, jemand aus dem Laden, in dem er das Navigationssystem gekauft hat, hätte vielleicht die Adresse eingegeben.« Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich fertig sei mit meinem Bericht, aber ich kann es nicht sein lassen. »Er wollte, dass wir zusammen hinfahren, um alle Mitarbeiter zu befragen.«
    »Warum haben Sie es nicht getan?«, will Sam wissen.
    »Weil es Blödsinn war«, kontere ich ärgerlich. »Ich wollte nicht zulassen, dass Kit irgendwelche Spielchen mit mir spielt. Fast hätte ich zugestimmt, aber dann hatte ich einen Augenblick der Klarheit. Die habe ich gelegentlich, und dann dämmert mir, dass ich mich nicht mit Spekulationen und Grübeleien quälen muss. Denn ich kenne die Wahrheit. Es war niemand aus dem Laden, ich war es nicht und auch kein Mitglied meiner Familie. Sondern Kit. Ich weiß, dass er es war.« Sobald ich hier raus bin, werde in der London Allied Capital Bank anrufen und mich mit Stephan Gilligans Sekretärin verbinden lassen. Vielleicht hatte Stephan Gilligan am 13. Mai um fünfzehn Uhr ein Meeting mit Kit, vielleicht auch nicht. Ich muss es wissen.
    »Seit sechs Monaten versichert Kit Ihnen, dass er diese Adresse nicht gespeichert hat«, sagt Sam. »Was macht Sie so sicher, dass er es doch war?«
    Sicher? Ich frage mich, von wem er redet. Werde ich mir jemals wieder sicher sein können?
    »Aus drei Gründen.« Erschöpfung überkommt mich, und es fällt mir schwer, genug Energie zum Sprechen aufzubringen. »Erstens: Es ist sein Navigationssystem. Er hatte keinen Grund zu der Annahme, dass ich es benutzen würde. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass ich es je herausfinden würde.« Ich zucke mit den Achseln. »Normalerweise ist die einfachste Erklärung auch die richtige. Zweitens: Als ich ihn zum ersten Mal darauf ansprach, bevor er eine verwirrte Miene aufsetzen konnte, habe ich etwas in seinen Augen gesehen, etwas … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar: Schuld, Scham, Verlegenheit, Angst. Er sah aus wie jemand, der ertappt worden ist. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, ob ich mir das vielleicht nur eingebildet habe – manchmal glaube ich das, ja. Dann bin ich mir wieder sicher, dass es keine Einbildung war.« Ich möchte Sam sagen, wie beängstigend es ist, wenn die Geschichte deines Lebens jedes Mal wackelt, sich verändert und die Konturen wechselt, wenn man genauer hinschaut. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sich das mit Worten überhaupt angemessen beschreiben lässt. Kann Sam auch nur andeutungsweise verstehen, wie es ist, eine so instabile Wirklichkeit zu bewohnen? Er macht auf mich den Eindruck eines Mannes, der fest in einer zuverlässigen Welt verwurzelt ist, einer Welt, die ihre Gestalt und Bedeutung nicht von einem Tag auf den anderen ändert.
    Ich habe das Gefühl, zwei Leben zu leben. Eins ist aus Hoffnung erschaffen, das andere aus Angst. Und wenn ich beide nur erschaffen habe, warum sollte ich an eins von beiden glauben? Ich habe keine

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