Das fremde Haus
normalerweise meine Mutter, die nie in London gewesen ist, aber es deprimiert mich noch mehr, wenn es von Kit kommt, der doch eigentlich mein Verbündeter in meinem Kampf um Freiheit sein sollte.
Nach unserem Einzug bekam ich von Kit zu Weihnachten den 4/100-King’s College-Druck geschenkt. »Ich dachte, wir sollten ein Bild haben, das uns an Cambridge erinnert, wenn wir schon nicht dort leben werden«, meinte er. Ich konnte nie etwas anderes darin sehen als ein Symbol meiner Niederlage, und es verdarb mir das Weihnachtsfest. Die lachende Frau, die auf den Stufen der Kapelle sitzt, schien mich auszulachen.
»Als ich im Januar diese Adresse in Kits Navi fand, begann ich, mich zu fragen, ob … also, ich fing an, über seinen plötzlichen Sinneswandel nachzudenken«, erkläre ich Sam. »Angeblich ging es ihm um den Stress, dem ich ausgesetzt war, aber was ist, wenn das gar nicht der Grund war? Vielleicht wollte er ja überhaupt nur nach Cambridge ziehen, weil er dort eine Freundin hatte?« Selina Gane. »Und dann haben sie sich getrennt – es gab einen Riesenkrach, sie hat ihn verlassen – und deshalb hat er seine Meinung geändert. Aber irgendwann später hat sich dann einer bei dem anderen gemeldet und sie kamen wieder zusammen, nur diesmal hatte Kit eine bessere Idee. Anstatt mir vorzuschlagen, dass wir umziehen, hat er sich im Bentley Grove mit ihr eingerichtet, während ich in Little Holling blieb, in sicherer Entfernung. Er liebt Melrose Cottage – er hat erreicht, was er sich 2003 vorgenommen hatte: Er wollte ein Haus finden, das er noch mehr liebt als Pardoner Lane 17. Er würde es nie aufgeben, wenn er nicht dazu gezwungen wäre. Vor einigen Wochen hat er einen Künstler aus der Gegend beauftragt, es zu malen, als wäre es ein Mensch oder so.«
Empfindest du denn nicht ebenso?
Ich wage nicht, mir einzugestehen, dass ich kurz davor bin, mein eigenes Haus zu hassen, obwohl es wunderschön ist und mir nichts getan hat.
»Kit will beides, wie viele Männer«, erkläre ich zornig. »Zwei Leben. Mich und Melrose Cottage in einer Schublade, Selina Gane und Cambridge in der anderen. Was ich will, ist ihm ganz egal. Ich würde gerne umziehen. Er spricht mich nicht einmal mehr darauf an. Er nimmt an, dass ich glücklich bin, so wie es ist, aber warum sollte ich das sein?«, fahre ich Sam an, der mir, genau wie Melrose Cottage, gar nichts getan hat.
»Sie wissen nicht, ob Kit etwas mit Selina Gane hat«, gibt er zu bedenken.
»Und Sie wissen nicht mit Sicherheit, dass er nichts mit ihr hat.«
Und darauf können Sie nichts erwidern, stimmt’s? Es gibt nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun, man kann es unmöglich wissen. Willkommen in meiner Welt.
»Haben Sie Simon Waterhouse das alles erzählt?«, fragt Sam.
Mit Simon zu reden, war leichter, viel leichter. Ich fühlte mich nicht so sehr als Freak. Simon fühlte sich nicht abgestoßen meiner sonderbaren Geschichte. Aber Sam, obwohl er sein Bestes tut, sein Unbehagen zu verbergen. Als ich mit Simon sprach, hatte ich irgendwie den Eindruck, dass Sonderbarkeit sein Element ist. Er nickte nur, wenn ich irgendwas sagte, das bei den meisten Leuten Ungläubigkeit ausgelöst hätte, während andere, weit normalere Details ihn zu verwundern schienen, und er stellte Fragen, die keinen offensichtlichen Bezug zu irgendwas hatten. Immer wieder fragte er mich nach Kits Eltern, wann und warum er den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte.
Ich habe Simon nicht alles erzählt. Da ich nichts zugeben wollte, das möglicherweise illegal war, erwähnte ich meine Stalking-Gewohnheiten nicht, meine Freitage in Cambridge. Ich habe ihm nicht erzählt, dass ich Selina Gane manchmal zur Arbeit gefolgt bin, hinter ihr herging, oder dass sie mich einmal angesprochen hat, in der Aufnahme des Krankenhauses, und wissen wollte, ob wir uns nicht schon mal gesehen hätten.
»Nein«, entgegnete ich rasch, beschämt. »Ich glaube nicht.«
»Wohnen Sie im Bentley Grove?«, fragte sie. Sie musste mich dort gesehen haben, vielleicht mehr als einmal.
Ich log erneut und gab vor, Freunde zu haben, die in der Straße wohnten.
Ich habe Simon auch nicht erzählt, dass ich vierzehn Tage nach dem Zwischenfall im Krankenhaus noch einmal auf Selina stieß – zufällig, in der Innenstadt. Überzeugt, dass sich im Bentley Grove 11 an diesem Tag nichts Aufregendes mehr ereignen würde, war ich in die Stadt gegangen, um irgendwo etwas zu essen. Ich wollte gerade Brown’s in der Trumpington Street
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