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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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sie von einem Ausschlag überzogen, ihre Mundwinkel sind eingerissen, ihre Augen gerötet. Weil sie groß und schmal ist, ihre Gesichtszüge kantig und streng sind, wird sie im ersten Moment oft für einen Jungen gehalten. Das Auffälligste an ihr sind ihre Augen. Sie sind von einem ungewöhnlich kühlen Blau, aber es ist nicht der Farbton allein, der verunsichert. Augen seien Fenster, sagt man, Moiras Augen aber lassen an verschlossene Türen denken.
    Am anderen Ende der Stadt befindet sich Basenzia, der östlichste Bezirk. Hier liegt etwas in der Luft, ein Geruch, ein Gefühl, eine Stimmung vielleicht. Der Himmel ist eigentümlich gefärbt. Gerüchte flattern durch die Straßen, man munkelt, man flüstert, man sagt sich: Basenzia wird bald verschwinden. Die Wechselstadt hat ihr Verfallsdatum schon lange überschritten, aber nirgendwo sieht man es so deutlich wie hier.
    Zwischen zahlreichen verfallenen und verfallenden Häusern sticht ein besonders heruntergekommenes hervor. Durch ein dunkles Treppenhaus gelangt man in das Loft, das einmal zu den begehrtesten Immobilien der Wechselstadt gehörte. Dort sitzt ein Mann, zusammengesunken in einem fleckigen Sessel. Er schaut durch die bodentiefen Fenster auf den »Platz der Bewegung«. Viel zu sehen gibt es dort nicht mehr. Ab und zu huscht eine einsame Gestalt durch die angrenzenden Straßen. Selbst die Hauswacht hat es aufgegeben, hier zu patrouillieren.
    Bis vor kurzem war der »Platz der Bewegung« vor allem für eines berühmt: den goldenen Engel, das Wahrzeichen der Bewegung, eine gut zwei Meter hohe Statue, wie es heißt, aus massivem Gold gefertigt. Der Sockel, auf dem sie einst stand, ist nun verwaist. In einer lauen Frühlingsnacht vor gut einem halben Jahr verschwand der Engel. Niemand weiß, wohin.
    In seinem Sessel lässt Jonas den Blick über den Platz wandern. Er bleibt oft hängen an dem nackten Sockel, kann sich aber nicht erinnern, was hier einmal anders war. Nur, dass es anders war, das weiß er noch.
    Jonas ist müde, hungrig und durstig. Seine Knochen schmerzen, seine Gelenke und Muskeln. Er meint sogar, dass ihm das Blut in den Adern schmerzt. Seit Tagen hängt er in einer Gedankenschleife. Ich brauche Wasser, denkt er; Wasser gibt es nur draußen; ich kann nicht nach draußen gehen; ich bin zu müde. Ich bin so müde, weil ich nicht schlafen kann. Schlafen kann ich nicht, weil ich so durstig bin. Ich brauche Wasser.
    Matt schlägt er nach dem kleinen Radio auf dem wackligen Tisch neben dem Sessel. Nach mehreren Versuchen erwischt er den roten Anschaltknopf, und das Gerät beginnt zu rauschen. Lustlos verstellt er die Frequenz so lange, bis er den einzigen noch verbliebenen Sender in der Wechselstadt gefunden hat. Nach anfänglichem Rauschen hört er:
    »Wir begrüßen Sie an einem der letzten Morgen der letzten Tage in der Wechselstadt.«
    Er verzieht sein Gesicht und hustet langanhaltend. Genau wie die Wechselstadt hat er sein Verfallsdatum längst überschritten.
    Auch als er dem Radio einen Stoß verpasst, plärrt es unbeeindruckt weiter, und weil Jonas zu müde ist, um aufzustehen, lässt er die x-te Spezialsendung zu den aktuellen Geschehnissen in der Wechselstadt laufen. Erst als ein Vertreter der Hauswacht im Studio begrüßt wird, horcht er auf. Der Moderator fordert den Vertreter auf, die besorgte Zuhörerschaft über die Hintergründe der kursierenden Gerüchte aufzuklären.
    »Es handelt sich um unbegründete Panikmache«, erklärt der Vertreter. »In der Vergangenheit mag es bei dem ein oder anderen Haus zu einem – zugegebenermaßen – ungeplanten Verschwinden gekommen sein. Das wollen wir nicht bestreiten. Trotzdem ist es übertrieben, über das Verschwinden eines ganzen Viertels zu spekulieren. Nichts Vergleichbares ist bisher vorgefallen.«
    Die Stimme kommt Jonas nicht bekannt vor. Es scheint niemand zu sein, mit dem er gearbeitet hat.
    »Es stimmt zwar«, sagt eine aufgeregt klingende Hörerin, »dass bisher noch nie ein ganzes Viertel verschwunden ist, vor zwei Wochen aber eine komplette Straße. Das hat es vorher auch noch nie gegeben, da waren es bloß einzelne Häuser.«
    Während weitere Männer und Frauen sich zu Wort melden, döst Jonas vor sich hin. Erst ein Hörerbeitrag gegen Ende lässt ihn wieder den Kopf heben.
    »Ich habe früher im IZBF gearbeitet«, sagt eine Frau, »und dass es keine Beweise gibt, stimmt so nicht. In der Vergangenheit konnten meine Kollegen und ich mit Bewegungsmessern eine Art Aura bei den

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