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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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Schmuckstück ausgesucht hatte, sie betrog. Beraten von ihren Freundinnen, wollte sie zunächst ein Auge zudrücken, aber gleich, ob sie sich gewehrt hätte oder ob sie mit einer Ehe zu dritt einverstanden gewesen wäre, ihn zog es zu der fremden neuen Frau, und die bestand darauf, daß er ihr allein gehöre. Wenig später die Scheidung.
    Jetzt war doch Nebel auf die klare Welt der jungen Frau gefallen. Sie, die Realistin, handelte konfus. Bald war sie neu verheiratet mit einem, den sie nicht liebte. Die Kinder mochten den Neuen nicht. Sie hatte jetzt nur noch die Kinder und ihre Fähigkeit, rasch zu vergessen. Vor ihrem Alter graulte sie sich.
Die ersten 36 Stunden mit einem lachhaften Verwaltungszwerg
    Dieser Mann, außerhalb des Urlaubs ein amtierender Schulrat, der absurderweise als ihr Cousin galt (weil ihr Familienzweig offenbar länger gebraucht hatte, Kinder zu bekommen, als der benachbarte), erschien ihr in seiner Dickbäuchigkeit, die er zu verbergen suchte, lächerlich. Jetzt, nachdem sie in diesem Touristik-Zimmer mit ihm die dritte Stunde verbracht hatte, empfand sie, daß es ihr nicht ausgiebig genug andauern konnte. Dieser Oberregierungs- und Schulrat war ein sehr guter Liebhaber, insofern als er sich nachdrücklicher, als sie es sonst kannte, an sie preßte, sie an den Innenflächen und im Oberteil ihres GT streichelte, mit Händen, die außer leichter Gartenarbeit (Unkraut jäten) nie etwas gearbeitet hatten. (Fred sollte sie ihn nennen, sie hätte eher Herr Oberschulrat oder Herr Wilcke zu ihm gesagt; sie kannte ihn ja erst seit 24 Stunden, also redete sie ihn gar nicht mit Namen an.) Sie schwor sich, noch an seinem Grab an seine Hand und auch an den lächerlichen nackten Körper und das »ausdrucksvolle« Gesicht zu denken, das ihr »sondergearbeitet« erschien.
    Sie war 26 Jahre jünger als er; sie wollte auch Blumen in die Grube werfen und drei Schaufeln Erde. Nicht genug damit, sie empfand: »Er ist mir ins Hirn eingebrannt!« Gerade wegen des groben Gegensatzes dieses Köpfchens, das auf einem ganz »ungearbeiteten« Körper saß, auf den er doch jetzt im Urlaub soviel Sorgfalt verwendete, um ihn »behauener« (damit meinte er fettärmer) erscheinen zu lassen. Der Kopf, so wie man sonst sagt: wettergegerbt, war hier »gesellschaftlich gegerbt«, also in vielen amtlichen Sitzungen eine Erscheinung geworden, während der Knabenkörper, üblicherweise kleiderbedeckt, zart blieb und einfach dick wurde wie ein im Park schwer erreichbar gelegenes Gebüsch, wild gewachsen. Dieses Miß- und Mischbild hatte am Vortag auf einem Spaziergang der beiderseitigen Familien versucht, mit ihr Haschen zu spielen, schlug und puffte sie, schlenkerte sich aus der Reichweite ihrer Gegenschläge mit einer kurzen Bewegung, die das Prädikat »geschickt« oder »wendig« beanspruchen konnte. Es war aber nur ein eher »mädchenhaft« wirkendes Schlenkern oder Wegdrehen des Hinterns, das sie als offenkundig lächerlich anrührte. So eroberte dieser Geist die junge Frau. Dies Bemühen des Verwaltungszwergs (seine hoffnungslose Lage) versprach, daß er sich »Mühe geben werde«. Der Lachzwang, den sie unterdrückte, lenkte ihre Angst ab. Sie sah später diesen »Vetter« im Flachland noch sechsmal wieder, immer in Hotels, aber es war nie wieder wie in den ersten 36 Stunden.
Der Abbrecher
    Er bricht Urlaub, aufkommende Stimmungen, sich verdichtende Freundschaften ab, wird dafür vom rebellischen, langsameren Körper mit Erkältungen, Darmstörungen bestraft, weil diese untergebene Truppe gegen das Hin- und Herschwanken protestiert. Er fühlt einige Tage seinen Körper, spürt, daß seine Seele Wurzeln schlägt, Vorstellung des »Urlaubs« als einer unbegrenzten bewußtlosen, willenlosen Zeit an fremdem Ort, wie ein Kühe-Hüter, der erst in der Herbstnässe mit dem Vieh vom Gebirge absteigt. Begrüßung jedes einzelnen Grashalms. Das aber hält er nicht aus, will zur »Welt« wieder zurück. Bei der ersten Empfindung, daß es nicht »weiterführt«: Zweifel, Abreise, Zerreißung der Wurzeln. Wie einer an einer Wunde kratzt, die juckt.
Ihre Ankunft sollte durch ein Essen würdig begangen werden
    Zu lange hatte er auf die Ankunft der Ersehnten warten müssen. Die Freunde hatten ein Lokal eruiert, in dem es delikate Pfeffersteaks gab. Davor ein kleines Fischgericht, danach Orangen-Soufflé. Der Oberkellner hantierte lange an seinem fahrbaren Tischchen, auf dem er ein Feuer entzündete, um vor den Augen der Gäste die

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