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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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den Informationskreislauf einbezogen gewesen wäre, der ihn über die Änderung aufgeklärt hätte. In Ruhe wollte der Kardiotechniker den Apparat aufbauen. So konnte man ihn, aber ebensogut denjenigen als Schuldigen bezeichnen, der die geänderte Anlage der Schläuche geplant und umgesetzt hatte, ohne dafür zu sorgen, daß die Nachricht davon jedem, der das Gerät berührte, bekanntgegeben würde. Dieser Planer und Modernisierer hatte zuvor Informationen hinterlassen; nur waren sie nicht an die Abteilung gelangt, die für kurzfristige Umbesetzungen im Operationsstab zuständig war. Dem Schlauch selbst sah man die richtige Anschlußstelle nicht an. Es gibt wenige Kardiotechniker, und diese wissen aus Routine, wie sie die Anschlüsse zu legen haben. Daher waren die Schläuche auch nicht beschriftet.
    Der Anwalt des Kardiotechnikers war sich nicht sicher, wie er die Verteidigung seines Mandanten aufbauen sollte. Die Schuld war an einer unsichtbaren Stelle zwischen zwei Institutionen irgendwie verlorengegangen. Es war aber öffentlichkeitspsychologisch riskant, sich auf diesen Schwund zu berufen. Das Argument durfte nicht als Ausrede erscheinen.
Sturz nach einem Tag mit zu vielen Eindrücken
    Einladung an die Universität Princeton. Vorführung von Filmen und Seminar. Am nächsten Morgen fahre ich früh nach New York. Mittags dort Verhandlung in einem italienischen Restaurant mit meinem Verlag New Directions über die englische Ausgabe der Geschichten vom Kino . Ich bin die große Stadt nicht gewöhnt. An der Central Station finde ich die Bahnsteige nicht, von denen aus die Züge nach Norden fahren. Wie blind spreche ich einen Mann an, der in der Schlange von Leuten steht, die eine Fahrkarte kaufen. Wo geht es zum Zug nach Princeton? Dort lang, Herr Kluge, antwortet der Mann. Ich erkenne Richard Holbrooke. Mit ihm habe ich TV -Gespräche geführt. Bei einer gewissen Überfülle an Eindrücken nehmen meine Augen die Umgebung mit einem Verzögerungsfaktor wahr. Holbrooke bewegt sich hier ohne jeden Schutz. Auf seinem Weg als US -Diplomat durch die Jahrzehnte und durch den Balkan könnte es Gründe dafür geben, daß sich ein Attentäter auf seine Spur gesetzt hat. Holbrooke rechnet mit dem Schutz der Anonymität, der Tarnmasse des Massenverkehrs. Er wäre hier nicht so leicht zu erkennen, meinte er, auch nicht so leicht zu unterscheiden. Eine Tarnkappe.

    Abb.: Acht Tage später.
    Zurück nach Princeton. Ich bin hungrig. Ich will für den Abend noch ein Buch kaufen, lesen beim Essen. In der Übereilung, endlich in einem ruhigen Lokal zu sitzen, stürze ich über eine Bordsteinkante. Sie sind nach Sitte der Kolonialzeit in Neuengland überhoch gebaut, nicht angepaßt an die Füße der Passanten, sondern passend für das Auge der Straßeninspektion, welche die Pflasterung in Auftrag gab. Die Kante ist dafür gebaut, aufzufallen. Ich habe sie nicht richtig eingeschätzt. Ich habe die müden Füße nicht genügend hoch gehoben. Das Hindernis läßt meinen Körper längelang auf die Steine fallen. Ich schlage mit Stirn und Brille auf das Pflaster. Einen Moment lang glaube ich, der Stirnknochen sei gebrochen. In ein Lokal hinein, vor dem Spiegel in der Toilette. Ich wehre englischsprachige Einwürfe ab. Eine Serviette mit kaltem Wasser nehme ich an.
    Die Angestellten meines Hotels rufen einen privaten Zubringerdienst für Unfallopfer (wir würden das Krankenwagen nennen), der mich zu einem Medical-Center bringt. Wartezeit. Mike Jennings trifft ein, den ich telefonisch benachrichtigt habe. Das Hirn wird gescannt. Nach einer Stunde berichtet der Arzt: eine Menge alter Narben im Hirngewebe, keine ist von heute. Offenbar bin ich früher schon öfter gestürzt. Die Fortsetzung des Seminars sage ich ab. Das Gesicht sieht nicht gut aus. In Europa müssen Sie das Gehirn noch einmal genau untersuchen lassen. Kann ich denn fliegen? Von einer Schiffsreise rate ich ab, antwortete der Arzt.
Vor ihrem Alter graulte sie sich
    Eine junge Frau in der Modeboutique. Bevor die Inhaberin kommt, die noch andere Kunden hat, hat sie ein grünes Wolljäckchen, ein schwarzes Kurzes und einen breiten Gürtel ausgewählt. Rasch verschwindet sie in der Kabine und kommt heraus wie neu. Sie blickt in den Spiegel, ob es paßt. Alle Sachen stehen ihr gut. Sie ist barfuß, weil die Schuhe sie bei dem raschen Wechsel der Kleider behindern.
    Sie besaß drei Kinder und war jung. Um ihren Mann wurde sie beneidet. Dann erfuhr sie, daß ihr Mann, der sie als

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