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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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konstituierte Welt), sondern im TUN der Menschen. Sie lesen das Denken an ihrer modernen Praxis ab, sagt er, also an der REALABSTRAKTION DES WARENVERKEHRS ; gleichmacherisch Werte schaffend, ohne einander genau zu kennen, auch gleichgültigen Gemüts wie ein impartial spectator und sich dabei doch hitzige Mühe im einzelnen gebend, entfalten sie Produzentenstolz, sind also überhaupt nicht gleichgültig, sondern menschlich. Abstrakte Begriffe, Logik und schließlich Vernunft haben ihren Boden in der Produktion, sagt Sohn-Rethel. Das ist das A PRIORI im materialistischen Sinn, ihm laufen die Begriffe und das Denken hinterher.
Getrenntes Paar
    VERNUNFT , die Praxis der diskutierenden Clubs in Europa, und ihr Zerrbild, der VERNUNFTGLAUBE , die Herrschaft der Guillotine, standen einander lange Zeit gegenüber, aber nicht so, daß auf dem Platz in Paris, auf dem die Guillotine stand, und auf den Zufahrtswegen auch die Kritiker ihren Platz gehabt hätten, die vielen leidenschaftlichen Geister, welche die Henker hätten überwältigen, die Karren mit den Opfern anhalten können. Hinter jedem Hetzer in der aufgeregten Volksmenge auf der Place de la Concorde hätte dann ein Kritiker gestanden, welcher sanft auf den haßerfüllten Rufer eingeredet oder ihn, mit dem Dolch des Brutus ihn am Hals kitzelnd, an der Fortsetzung der Haßtirade hätte hindern können.
    Statt dessen blieben die beiden Enden des dialektischen Gegensatzes fern voneinander. Die einen wendeten die Methode der negativen Kritik in die positive, aufbauende (sie gründeten Gärten des Geistes). Die anderen verteidigten den Vernunftglauben, den Kant wie eine religiöse Einbildung betrachtet (ein Phänomen der paranoiden Vernunft), mit den Mitteln des Terrors. Sie meinten, daß ohne diesen Glauben die republikanische Tugend zugrunde gehen werde.
Die Stärke unsichtbarer Bilder
    Das Bild, welches am 2. Mai 2011 praktisch alle Nachrichtenredaktionen der Welt erreichte, gab nicht den durch Kopfschuß getöteten muslimischen Anstifter wieder, sondern war ein digitales Machwerk. Es verlängerte aber in einer für die Netzdienste und die ersten Zeitungsmeldungen wohltuenden Weise die ZEIT DER AUFMERKSAMKEIT , da man zuerst das Bild zeigen und kommentieren mußte, dann sich davon distanzieren und eine Debatte eröffnen konnte, welche die »Gier nach dem Bild des toten Erzfeindes« an diesem aggressiven Beispiel thematisierte. Wenn es doch für die Pressearbeit generell hieß, daß man den Tod nicht direkt zeigt!
    Die Eingreiftruppe, die Bin Ladens Anwesen besetzt hielt, hatte vor ihrem Rückflug allerdings ein echtes Foto geschossen und die Prozedur, um ein bleibendes Beweisstück für das Auge herzustellen, auf dem Stützpunkt in Afghanistan wiederholt. Das gräßliche Bild wurde auf Anordnung des Präsidenten nicht veröffentlicht, was die höchste Form der Dramatisierung eines Bildes darstellt. Es prägte sich, gerade weil es keiner sah, der Öffentlichkeit in millionenfacher Vielfalt unvergeßlich ein.

    Abb.: Fernsehen im Weißen Haus. →
Seitlich des Bildes
    Seitlich des Bildes, welches einen Raum im Weißen Haus zeigt, den Präsidenten, hingehockt, und die Außenministerin, die (möglicherweise wegen eines Hustenreizes oder aber erschrocken) die Hand vor den Mund hält, einen machtvollen General in der Mitte vor seinem Laptop, der die Aktion in der Ferne regiert (es ist ein Uhr nachts), saß ein Zeitzeuge, der sich Gedanken darüber machte, wie sich die Verhältnisse in diesem Raum ändern würden, wenn das Geschehen in Pakistan entgleiste, das auf den Bildschirmen der Laptops (auf dem Foto gelöscht) zu sehen war. Die Aktion hätte jederzeit, so der Zeitzeuge, der professioneller Geheimdienstler war, explosiv unterbrochen werden können, zum Beispiel durch ein pakistanisches Hubschrauberkommando, welches – unter der Vorgabe, von allem nichts zu wissen (und es war ja auch tatsächlich nicht benachrichtigt worden) – mit Raketen das Gebäude angegriffen und den schon erschossenen Terroristenvater und das Marinekommando gemeinsam der Vernichtung zugeführt hätte. Das wäre für die Beobachter ein fürchterliches Ereignis gewesen; selbstverständlich wäre das Foto davon, wegen der darauf abgebildeten spontanen Reaktion in den Gesichtern, nie zur Veröffentlichung freigegeben worden.
    Auf dem publizierten Bild saß der Präsident etwas im Hintergrund, wie ein Junge auf der Strafbank seiner Schulmannschaft. Er war nicht Hauptperson, und zwar, wie der Mann

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