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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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seitlich vom Bild mitteilte, deshalb, weil er die Position des ERSTEN MANNES in einer Lage nicht begehrte, in der in solcher Ferne soviel schiefgehen konnte. Von solcher UNBESTIMMTHEIT wollte er den verfassungsgemäßen Vorsitz vermeiden, was ihm doch nicht möglich war.
Der Topos, mit dem jede Welteroberung beginnt
    Julian, der Heidenkaiser, war bereits weit in das Partherreich eingedrungen und stand mit seiner Armee vor Ktesiphon. In seinem Drang, der Spur Alexander des Großen zu folgen – Ammianus Marcellinus spricht von seiner »gierigen Schnelle« –, war er nicht bereit, die Festung zu belagern. Er ließ den Fluß Tigris links liegen und beschloß, »im Eilmarsch die Wege ins Landesinnere an sich zu reißen«. Der Kaiser hatte befohlen, alle Schiffe, außer zwölf kleineren, die er auf Wagen mitnehmen ließ, anzuzünden und ausbrennen zu lassen. Die Flotte auf dem Tigris habe nur dem Feind Vorteile gebracht, sagte er. 20000 Mann waren mit dem Treideln und dem Lenken der Schiffe beschäftigt. Sie konnte Julian jetzt in sein Heer einreihen.
    Als gefolterte Überläufer bekannten, daß ihre Aussagen über den Feind und den Zustand der Straßen gelogen seien und das Heer sich auf dem Wege verlor, erkannten die Unterführer, daß die Aktion des Kaisers, die ja auch nur den historischen Topos des ENTSCHLOSSEN DIE SCHIFFE HINTER SICH VERBRENNENS zitieren sollte, ein Fehler war. Es wurde befohlen, das Feuer mit allen Kräften zu löschen. Die Flotte war jedoch schon vernichtet.
Ein unverzeihlicher Verlust
    Wie anders hätte die Welt ohne Christentum, unter den Auspizien der wahren Götter und des Gottes Sol Invictus, unter dem siegreichen Kaiser Julianus Apostata ausgesehen und sich in GROSSER ZIVILISATION forterben können, wenn nicht ein Schwert (vermutlich das eines Verräters oder eines christlichen Verschwörers) in der Schlacht bei Samarra in den Leib dieses Monarchen gefahren wäre. Nach ihm verfiel das Reich wieder in Gleichgültigkeit, wurde von den Bischöfen zerkleinert und okkupiert.
Der Leichnam Karls des Kühnen
    In Mailand wurden Monate später Knöpfe vom Unterkleid des Herzogs verkauft, juwelenbesetzt. Auch eine silberne Armschiene seiner Rüstung. Der Tote selbst war, halbwegs im See liegend (denn es fror nicht in dieser Nacht), vollständig entkleidet gefunden worden. Man mußte Vertraute finden, die ihn erkannten, da es schwierig ist, einen hohen Adligen zu identifizieren, wenn er seine Kleidung nicht trägt. Die Leiche entdeckte man auch nur deshalb, weil man sie intensiv suchte und bei anderen Toten ausschließen konnte, daß sie der Herzog wären. So blieb nur dieser arme Leib für die Prüfung übrig, für die Hoffnung, daß sie den Richtigen gefunden hätten. Der Bote, der die Nachricht vom Ende des großen Burgunders an den Herzog von Lothringen überbrachte, erhielt üppigen Lohn.
Einsamer nie als im November
    Der verwüstete Hinterkopf des Präsidenten – die erste Zerstörung hatte die Kugel bewirkt, die zweite die Chirurgen bei ihren improvisierten Eingriffen – sprach gegen eine fotografische Ablichtung. Auch der unverzügliche Abtransport zum Flughafen verbot sich, da man noch hoffte, den Toten durch eine kosmetische Operation so weit in Form zu bringen, daß man ihn eventuell doch Dritten zeigen könnte. So lag der Tote noch mehrere Stunden auf dem Operationstisch, während in der Präsidentenmaschine bereits die Vereidigung des Nachfolgers durchgeführt wurde. Der Leiter des Personenschutzes des Präsidenten hätte für den Transport eine Weisung geben müssen. Er kommandierte aber bereits den Schutz der kommenden Sonne, des Vizepräsidenten. Niemand wußte mit Sicherheit, daß es sich nicht um einen internationalen Anschlag auf die USA handelte. Noch weitere Schüsse konnten fallen. So lag der Leichnam des Präsidenten wie der eines Gefallenen auf verlassenem Schlachtfeld in einer Art Niemandsland. Der Zugang zur Operationssuite war gesperrt. Alle Chirurgen, tief schockiert, hatten das Gebäude verlassen.
Der Nachträgliche
    Ich fasse selbst nichts an und bin nicht für eine Einzelhandlung zuständig, sondern für die Koordination. Wenn die Fronttruppe etwas vollbracht hat, bin ich für das Aufräumen da. Ich bin der Nachträgliche.
    Man hat mich in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai aus Kaiserslautern nach Afghanistan eingeflogen. Es ging um die Logistik, wie man mit »Geronimos totem Körper« verfahren sollte. Das bestimme nicht ich allein, aber ohne meine konzentrierende

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