Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
schlechtes Kunstwerk, das die Sache nicht erreicht, ein bloß subjektives. Es kann aber auch ferner dieser Ausdruck auf den Inhalt des Willens gehen und ist dann ungefähr mit Willkürlichem gleichbedeutend: der subjektive Inhalt ist der, welcher bloß dem Subjekte angehört. So sind z. B. schlechte Handlungen bloß subjektive. Dann kann aber ebenso jenes reine leere Ich subjektiv genannt werden, das nur sich als Gegenstand hat, und von allem weiteren Inhalt zu abstrahieren die Kunst besitzt. Die Subjektivität hat also, Theils eine ganz partikulare, Theils eine hochberechtigte Bedeutung, indem alles, was ich anerkennen soll, auch die Aufgabe hat, ein Meiniges zu werden, und in mir Geltung zu erlangen. Dieß ist die unendliche Habsucht der Subjektivität , Alles in dieser einfachen Quelle des reinen Ich zusammenzufassen und zu verzehren. Nicht minder kann das Objektive verschieden gefaßt werden. Wir können darunter Alles verstehen, was wir uns gegenständlich machen, seyen es wirkliche Existenzen, oder bloße Gedanken, die wir uns gegenüber stellen: ebenso begreift man aber auch darunter die Unmittelbarkeit des Daseyns, in dem der Zweck sich realisiren soll: wenn der Zweck auch selbst ganz partikular und subjektiv ist, so nennen wir ihn doch objektiv, wenn er erscheint. Aber der objektive Wille ist auch derjenige, in welchem Wahrheit ist. [...] Endlich kann man auch den Willen objektiv heißen, der ganz in sein Objekt versenkt ist, den kindlichen, der im Zutrauen, ohne subjektive Freiheit steht, und den sklavischen, der sich noch nicht als frei weiß, und deswegen ein willenloser Wille ist. Objektiv ist in diesem Sinne ein jeder Wille, der durch fremde Aktivität geleitet, handelt und noch nicht die unendliche Rückkehr in sich vollendet hat.«
Die neue Gier
In der Londoner Filiale der Deutschen Bank werden nur noch »hungrige junge Leute« eingestellt und gefördert. Das sagte Roland Berger. Er sagte es im Konversationston, um die Bemerkung nicht als Lehrsatz hinzustellen, sondern Platz für eine ironische Antwort zu lassen. Auf dem Podium, auf dem er sprach, ging es um das Thema DIE NEUE GIER .
Berger neigte dazu, solche Tagungsthemen abzuwiegeln. Es handle sich immer noch um die ALTE GIER . Sie sei den Menschen eingepflanzt. Der Eifer der jungen Leute, ihr sogenannter »Hunger« in London, sei mit der Zeit zu sättigen. Auch höre solche Präsenz im Alter auf.
Dem widersprach ein Soziologe aus Bremen. Die Gier eines antiken Griechen oder eines römischen Statthalters, der Bakschisch eintreibe für seine Karriere, sei in der Wurzel verschieden (also radikal anders) von der heute sichtbaren MITTLEREN GIER , die zum Auswahlmodus einer Führungskraft zähle. Im Unterschied zur alten Gier sei die neue permanent wirksam und nehme im Alter bei Befriedigung zu. Sie bilde einen Teil des Eigenwerts. Ein junger Mann (aber ebensosehr müßten sich die Alten anstrengen) könne seinen persönlichen Wert nur dadurch beweisen, daß er an dieser Gier teilhabe, so wie ein Soldat töten müsse, um in den Augen der Kameraden als tüchtig zu gelten. Diese Gier wurzle nicht im Vorteil, habe nicht psychologische Gründe, sondern soziologische.
Die These klang aber auf dieser Veranstaltung zu angespannt. Die Ausführung erhielt nicht die raunende Beistimmung, die Bergers rasche Feststellungen bekamen, sondern wurde schweigend quittiert. Man kann nicht dadurch gefallen wollen, daß man einfach nur das Richtige sagt.
Die fossile Spur des unabhängigen Gedankens
Eine Lieblingsidee des Philosophen Sohn-Rethel, auf die sich seine Soziologie der Erkenntnis gründete, war die Ableitung von Kants rätselhafter Konstruktion des TRANSZENDENTALEN SUBJEKTS aus der Praxis der WARENTAUSCHENDEN GESELLSCHAFT .
Es gibt allgemeine Regeln des Vernunftgebrauchs, so Immanuel Kant, die nicht aus der Erfahrung eines Individuums, auch nicht aus einer Götterwelt hervorgehen, sondern als ein »zärtlicher Keim«, eine Mitgift des Menschengeschlechts als A PRIORI dem autonomen Gebrauch der Verstandeswerkzeuge vorausgehen. Bei Kant handelt es sich um eine Kategorie der Ideen. Sohn-Rethel dagegen, verwöhnter Sohn aus gutem Hause, Intensivbeobachter des gesellschaftlichen Laboratoriums der dreißiger Jahre in Deutschland und Glückskind der Philosophie, sieht die Wurzel des selbständigen Denkens nicht im denkenden Kopf (wie immer rätselhaft vermittelt mit einem geisterhaften überindividuellen Subjekt, einem Vorgriff auf eine weltbürgerlich
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