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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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angelsächsischen Sprachraum Geschichten aus dem Dritten Reich und vom heroischen Kampf der Völker gegen Hitler große Aufmerksamkeit. Das galt für Australien, Neuseeland ebenso wie für Großbritannien, Kanada und Oregon. Das sorgte für Nachfrage nach Artikeln, welche die Gegenwart zum Vorwand nahmen, um den grandiosen Roman der Vergangenheiten, selbst erlebt von den Vätern, fortzuspinnen. Handelte sein Bericht davon (quasi als Enklave des Interesses inmitten ungeliebter Nachrichten), war sein Überleben in den Blättern, Onlinesystemen und Lokalradios seiner Heimat gesichert.
    Siziliens letzte Besetzung durch eine angriffsstarke Luftstreitmacht wurde im Dezember 1940 von der Achse befohlen. Von Norwegen verlegt das eingespielte Team des X. Fliegerkorps unter General der Flieger Hans Geisler auf die Flugplätze von Trapani und Senigallia. 400 »nazistische« Flugzeuge waren das, darunter 96 Bomber und 25 zweimotorige Maschinen. Sie konnten die nordafrikanische Küste, Libyens Wüsten, ja, wenn sie ohne Jagdschutz flogen, den Suezkanal mit Bomben erreichen. Als Überschrift fiel Parker III . ein: Wie Hitler den Zweiten Weltkrieg hätte gewinnen können, wenn er nicht die Sowjetunion, sondern Nordafrika und den Nahen Osten angegriffen hätte. Aufdringlich naheliegend als Nachricht: Frankreichs und Großbritanniens gemeinsame Aktion gegen Ägypten und den Suezkanal im Jahre 1956, letzte europäische Strafexpedition zur Erhaltung der Empire. Das ließ Parker III . aus, weil es in den Köpfen der Nachrichtenempfänger im englischsprachigen Raum, der ein Potential von 389 Millionen Menschen umfaßte, über keine Entsprechung verfügte. Davon wußte keiner mehr was. Vom Schock der Hitler-Herrschaft über die Welt träumten viele.
    Gestern wurden britische und französische Strahljäger auf die Pisten von Trapani und Senigallia verlegt. Sie bedrohten mit etwa der doppelten Zahl von Maschinen, über die Hitler im Jahr 1941 verfügt hatte, den libyschen Eigenwillen, die loyalistischen Flugabwehrstationen und die Luftwaffe von Oberst Gaddafi. Parker III . hatte beide Flugplätze besucht. Er fand eine Kantine, etwas abseits des Geschehens, die noch aus der Zeit der Achse stammen sollte. Malereien an den vier Wänden des Speiseraums stützten diese Vermutung. Wo machten so viele deutsche Piloten und Flugzeugtechniker, ausgehend von Trapani und Senigallia, im katholischen Italien Frauenbekanntschaften? Diese Frage würde englischsprachige Zielgruppen interessieren, sagte sich Parker III ., weil in diesen Romaninhalten eine innere Verbindung bestand zwischen den ehemaligen Gegnern, den Deutschen und den Alliierten, deren Schicksal auch in den kommenden Wochen die Leser, Hörer, Mediennutzer fesseln würde, wenn Libyen entweder schon vergessen sein oder zu einer bitteren, dauerhaften Entzündung von Weltverhältnissen geführt haben würde.
    Ein libyscher Düsenjägerpilot war mit seiner Maschine vernichtet worden, nachdem er auf seinem Flugfeld bereits gelandet war. Gleich nach Sichtung der französischen Gegner, die vom Horizont auf ihn zustießen, war der vorsichtige Mann umgekehrt, hatte noch das eigene (vermeintlich sichere) Gelände berührt und war dann im Auslaufen zerstört worden. Das hatte Parker III . aus den Berichten der französischen Piloten erfahren, die selbst entsetzt waren. Da aber über die Familie, die politische Einstellung, die Motive des libyschen Piloten (nicht einmal sein Alter war bekannt) niemand etwas wußte, war keine Nachricht daraus zu verfertigen, die das Gemüt berührt und über den Globus angelsächsischer Sprache eine Verbreitung finden kann.
Ebensoviel Profiteure der Revolution wie Revolutionäre / Eine Revolution übersteht auch dies
    Die Spuren der Beute waren nach Alexandria und über Suez in den erweiterten Nahen Osten zu verfolgen. In den Tagen, an denen auf dem Tahrir-Platz inmitten von Kairo die Massen immer neu nachströmten, dort in Zelten kampierten, machten sich spontan Banden auf, welche die Nationalmuseen stürmten. Bald nahmen Händler Kontakt zu ihnen auf. In der Nähe der Pyramiden waren die noch nicht dokumentierten Ausgrabungen gelagert. Auch auf sie richtete sich das Begehren, selbst wenn die Hehler (archäologisch erfahrene Sachverständige) darauf drängten, daß die Funde nicht ohne Angabe ihres Fundortes geraubt und transportiert werden dürften. Es war keine Übersicht über die allseitige Bewegung dieser Tage zu erlangen. Am wenigsten von solcher Übersicht

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