Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
bereits beliehen. Drei Generationen werden nach der bisherigen Planung in der Raumschiffflotte leben und sterben. Keiner der Auswanderer wird die Erde wiedersehen.
Es wird nicht erwartet, daß die Nachkommen dieser Menschen, die sich aufgrund dieses Projektes verabschieden, auf dem bereits identifizierten Planeten jener Sonne niederlassen, sondern daß dies vermutlich auf einem der kleineren und entfernteren Planeten oder auf einem der Monde in jener Parallelwelt geschehen wird.
Der Ansatz entspricht einer Filmphantasie, der Rainer Werner Fassbinder eine Woche lang in seinem Quartier in der Frankfurter Kaiserstraße nachging. Die Handlung des Filmprojekts spielt im Zweiten Weltkrieg. Es werden Männer und Frauen ausgewählt und »unabkömmlich« gestellt, also aus der Front und der Rüstungsproduktion herausgenommen und in einem Quartier bei Sonthofen einer strapaziösen Ausbildung unterzogen. Sie sollen die Raumschiffflotte, bestehend aus 52 Raketen des Typs A12, besetzen (also zehn Generationen nach der V 2). Die Ankunft auf dem Nachbarplaneten Mars ist für das Frühjahr 1952 vorgesehen. 39 Schon vor der Premiere des Stücks Der Müll, die Stadt und der Tod wurde das Filmvorhaben nicht weiterverfolgt. In der intimen Hofgesellschaft, welche das Produktionsquartier in der Kaiserstraße bildete, waren die Rollen teilweise bereits besetzt, zum Teil noch umkämpft.
Abb.: Keine massiv von Bomben getroffene Stadt hat sich je wirklich davon erholt.
Wiederkehr der Götter
Ich bin in der glücklichsten Phase meines Lebens. In mir wächst ein Kind von Georg heran. Ich bin Arabistin. Wir fügen etwas zusammen, was zweimal zerstört wurde. Aus 27000 Fragmenten erschaffen wir Götterstatuen.
Der Restaurator Hermann G., ein technischer Tausendsassa, also mein Mann und ich, haben uns durch dieses Projekt kennengelernt. Es bewahrt uns recht dauerhaft vor Arbeitslosigkeit.
Die Fragmente stammen vom Eingang des Westpalastes von Guzama. An den Orthostaten vom Eingang des Westpalastes haften dicke Brandkrusten. Das Tor des Westpalastes zeigte die Götterfamilie. Auch ein Tyrann wie der Assyrerkönig Sanherib (704-681 v. Chr.) kann nicht einfach befehlen, eine unterworfene Stadt abzubrennen. Das darf er nach internationalem Recht erst dann, wenn diese Stadt, nachdem sie unterworfen worden war, DURCH EINEN AUFSTAND SICH DAGEGEN AUFGELEHNT HAT . Dieser Vertragsbruch der Unterworfenen gibt dem König das Recht zur Verwüstung. Feuer allein vermag dem vulkanischen Basalt nichts anzuhaben. Auch ist es unmöglich, die Deckenbalken, die sich in mehreren Metern Höhe befinden, anders zu entzünden, als daß man die Halle vollständig mit Brennmaterial füllt und in Brand setzt. Das war auch die Methode, mit der später Alexander der Große die Königsbauten von Persepolis zum Brennen brachte. Wird die Halle, durch den Brand erhitzt, rasch mit Wasser abgekühlt, zerspringen die Steine.
Die Fragmente dieser Verwüstung wurden 1929 im Tell-Halaf-Museum in Berlin ausgestellt. In der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 zerstörten dann die Spreng- und Brandbomben Gebäude und Skulpturen. Im Dezember wurden die Trümmer in Kisten verpackt und in den Kellern aufbewahrt. Ostarbeiter benutzten diese Keller als Luftschutzraum bei Tagesangriffen. Der Steinmetzbetrieb Zeidler und Simmel lagerte das, was wie ein wertloses Gestein aussah, die zersprungenen Fragmente, in andere ihm zugewiesene Räume: 60 Kisten und loses Material, so lagen die Funde am 27. Mai 1945 in Kellern der Museumsinsel. Wir Kundigen gelangten erst nach der Wende an das Material. Und es dauerte eine Zeit, bis die Förderung für das Instandsetzungsprojekt bewilligt war. Jetzt aber sehen wir die Götter uns gegenüber, neu zusammengesetzt, und zwar unter Vermeidung von Klebe- und Restaurationsfehlern, die einst aus dem Transport von Syrien nach Berlin resultierten. Wir sorgen dafür, daß Licht und Dämmerungen ihnen den Wandel erlauben, den sie in ihrer Tempelanlage gewohnt waren.
Auch haben wir dazu beigetragen, den Krieg zwischen Arabisten und Orientalisten beizulegen. Lange hieß es, die Orientalisten seien nur am Verbringen antiker Skulpturen nach Berlin und politisch an der Bagdad-Bahn orientiert gewesen (und die heutigen seien nur die Nachfolger der Traditionalisten von vor 1914 oder bis 1939). Das würde in unserem Team, das durch die Bearbeitung so zahlloser und kostbarer Fragmente zusammengewachsen ist, niemand mehr sagen. Auch würden wir Arabisten, die
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