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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kluge
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anvertrauen, daß ihre Mäuler größer werden und sie schließlich zu Walfischen gedeihen« (Darwin).
    Die Gefäße oder Fahrzeuge zum Befahren des Europa-Ozeans und die symbiotische Form einer »Menschheit unter Wasser« waren in den Computern der 16 Ingenieure (immer mit Verbesserungsvorschlägen und Antworten der patriotischen Anhängerschaft) schon zwei Jahre voranentwickelt worden. Auf den verfügbaren Parallelrechnern entsprach das einer Rechenzeit von 1600 Jahren. Die »Gefäße« und die »Boote« mußten miteinander kommunikative »Städte« und »Gärten« bilden. Es mußten visuelle Vorkehrungen getroffen werden, vielleicht in den Decken der Räume, so daß eine Außensicht simuliert blieb, da eine Menschheit, die von der Erde stammt und im Dunkel des Ozeans lebt, nicht dauerhaft ohne den Anblick der Sterne, sozusagen des Ganzen, existieren kann. Die Ingenieure waren (während um sie herum die Aktualität dahinfloß) mit ihren Plänen so beschäftigt, daß sie genau angeben konnten, wie sich die Sprache einer Europamond-Bevölkerung im Fließwasser des dunklen Ozeans verändern würde. Gewaltige Illuminationen waren erforderlich, da die Lichtgestalt der Menschen, die ihnen von der spirituellen Evolution mitgegeben ist, sich von solchem Anblick nährt. Kommunikation mit dem Weißen Haus besaß die Forschergruppe nicht. Auch nicht mit den Publikationsorganen Nature und Science , welche Forschung erst zu einer Wirklichkeit machen. Das alles geschah am Dienstag, an dem in Fukushima das Ausmaß der Havarie durch keine Instanz ermittelt werden konnte.
Erdbeben mit der Folge einer flutartigen Empörung in der Antike
    Im Jahr 464 v. Chr., in welchem die Athener Thasos belagerten, erschütterte ein schweres Erdbeben das Land der Spartaner. Nur fünf Häuser der Stadt sollen unversehrt geblieben sein. Im Gebirge Taygetos »zerrissen Gipfel«. In der herrschenden Klasse der Krieger war momentan der Glaube an die eigene Stärke und an die Güte der Götter zertrümmert. Christian Meier berichtet, wie die Heloten »in großen Scharen vom Lande herbeiliefen, um unter den Spartanern aufzuräumen«. Diese arbeitsteilig abgespaltene Gesellschaft der UNTERWORFENEN dachte an eine Umkehrung der Verhältnisse, die doch aussichtslos war, weil die herrschenden Spartaner zwar zu kämpfen und zu sterben, nicht aber zu arbeiten wußten. Sie hätten nicht lernen können, was die Heloten sie jetzt lehren wollten.
    Die rasch ergriffenen Maßnahmen des Königs Archidamos klärten die Lage. Die Aufständischen, die dem Erdbeben wie eine Flut gefolgt waren, wurden auf der befestigten Burg Ithome in Messenien eingeschlossen. Auf dem Gipfel eines Berges war eine bewaffnete Scheune errichtet, etwas, das die Römer später in Gallien oppidum nannten. In dieser ihrer Zuflucht wurden die Heloten belagert mitsamt den Vorräten, die sie vorgefunden hatten. Lange Zeit vermochten die Spartaner diesen Punkt nicht einzunehmen. Ein Hilfskontingent aus Athen half halbherzig, den Belagerungsring zu besetzen. Die Hilfstruppe bestand aus Leuten mit »Gedanken an eine neue Zeit«. Die Spartaner hatten den Eindruck, die athenischen Hopliten ließen heimlich Feinde durch ihre Reihen entweichen. Aus dieser Folge von Eindrücken entstand später der Stachel, der zum Peloponnesischen Krieg führte.

    Abb.: Antikes Schiff in Seenot.
Der Stolz des Ortes ist die Schule
    Das Schwimmer-Team der Takata High School war noch gesehen worden, wie es zu dem städtischen Freibad marschierte, das einen Kilometer vom Schulgelände entfernt lag. Vom Beckenrand oberhalb des breiten Sandstrands konnte man die Hirota-Bucht liegen sehen. Passanten beobachteten die Kolonne, wie sie auf den Weg abbog, der zu der Badeanstalt führte. Das war das letzte, was man von den Jugendlichen sah.
    Die Stadt Rikuzentakata zählt 23000 Einwohner. Hiervon wurden nach dem Tsunami 2300 vermißt. 9200 leben in Lagern für Evakuierte, also in Turnhallen und Zelten. Seit 1820 entsprechen die Schülerzahlen japanischer Schulen prozentual den Verhältnissen in Deutschland und Frankreich. Seit der Meiji-Reform gehören in den Präfekturen und Städten die öffentlichen Schulen zum Zentrum der Kommunen. Was einst der Tempel bedeutete, verkörpert jetzt die Schule: ein Stück Stolz. Auch jetzt ist die Takata High School das größte Evakuierungszentrum. Ein Lieferwagen fährt in den Schulhof. Die Fahrer zeigen den Leichnam eines Schülers aus dem Nachbarort Ofunato, einen Zehntkläßler. Sie suchen

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