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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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er noch Herr der Lage war, in Wirklichkeit fühlte er sich völlig ausgepumpt und dem Zusammenbruch nahe.
    An die Rückwand der Felsenhöhle gelehnt, versuchten beide, es sich ein wenig bequem zu machen. Adrian zog die Plane über sie als Schutz gegen die Kälte. So dösten sie vor sich hin in der Hoffnung, Schlaf zu finden.
    »An was denkst du?« fragte Anne nach zwei oder drei Stunden in die Dunkelheit. Der Regen hatte nachgelassen, von den Bäumen jedoch klatschten die Tropfen weiter auf die Erde.
    Kleiber antwortete: »Ich überlege, wie wir am besten von hier wegkommen.« Durch die nassen Kleider spürte Adrian die Wärme, die von Annes Körper ausging.
    »Da haben wir beide denselben Gedanken«, bemerkte sie mit einer gewissen Ironie in der Stimme. »Und – warst du erfolgreich in deinen Überlegungen?«
    Kleiber hob die Schultern. Die Nacht war so finster, daß sie ihre Gesichter nur ahnen konnten. »Sie werden uns jagen, wie sie Vossius und Guthmann und alle anderen gejagt haben«, brummte er vor sich hin. »Und alles wegen eines alten, vergilbten Fetzens Papier. Es ist absurd.«
    »Du weißt, daß es kein gewöhnlicher Fetzen Papier ist«, entgegnete Anne verärgert, »auch wenn wir seinen Inhalt nicht kennen, seine Bedeutung ist epochal, sonst würden sich die Orphiker nicht mit solchem Aufwand darum bemühen.«
    »Nun gut, da gibt es ein fünftes Evangelium. Mag sein, daß das Neue Testament deshalb ergänzt oder in Einzelheiten geändert werden muß. Das rechtfertigt doch nicht die Aufregung, die es ausgelöst hat; vor allem rechtfertigt es nicht, daß Menschen umgebracht werden, nur weil sie um irgendwelche Zusammenhänge Bescheid wissen.«
    »Nein, natürlich nicht«, rief Anne, daß Adrian ihr den Mund zuhielt und zur Besonnenheit mahnte, bevor sie mit gedämpfter Stimme fortfuhr: »Der Schlüssel zu dem Geheimnis liegt in dem Namen Barabbas. Solange wir nicht wissen, was es damit auf sich hat, werden wir ewig im dunkeln tappen.«
    »Das werden wir nie erfahren«, sagte Kleiber, und nach einer langen Pause: »Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt klug ist, sich darum zu kümmern. Du siehst ja, in welche Lage uns unsere Neugierde gebracht hat. Es hätte nicht viel gefehlt …«
    »Du nennst es Neugierde«, unterbrach Anne, »ich glaube, Notwehr ist das bessere Wort. Ich bin nun mal in diese Sache hineingeraten, und ich werde keine Ruhe finden, solange die Hintergründe nicht aufgeklärt sind. Versteh das doch, bitte.«
    Da drückte Kleiber Anne noch fester an sich, als wollte er sich für seinen Einwand entschuldigen. Eng aneinandergeschmiegt redeten sie die ganze endlose Nacht; und wenn der eine vor Erschöpfung endete, begann der andere von neuem. Sie redeten über alles, was sie bedrückte.
    »Ich muß dir ein Geständnis machen«, sagte Adrian.
    »Ich muß dir auch etwas gestehen«, fiel ihm Anne ins Wort. »Ich liebe dich.«
    Diese Erklärung traf Kleiber völlig unerwartet. Er schwieg.
    Und so begann eine seltsame Liebesnacht unter einem Felsvorsprung, der sonst nur Tieren als Unterschlupf diente.
    Gegen Morgen, als das erste Tageslicht durch die naßtriefenden Äste der Bäume schimmerte, schreckten sie hoch. Vom Berg her näherte sich Motorengedröhn.
    »Sie haben unsere Flucht entdeckt!« flüsterte Anne. »Sie werden die Hunde auf uns hetzen, ihre gräßlichen Mißgeburten, die sie da oben züchten.«
    Kleiber versuchte sie zu beruhigen: »Keine Angst, mein Liebling, der Regen ist auf unserer Seite, er hat alle Spuren verwischt.«
    Das Fahrzeug kam näher. Dicht unter ihnen erkannten sie die Scheinwerfer eines Geländewagens, der sich mit heulendem Motor den Weg ins Tal bahnte. Die Insassen waren nicht zu erkennen. Schnell, wie er gekommen war, verschwand er wie ein Spuk in der Morgendämmerung; nur das Motorengeräusch konnten sie noch kilometerweit hören. Anne atmete auf.
    In der Nacht hatten sie sich einen Plan zurechtgelegt: Sie mußten davon ausgehen, daß die Orphiker den Flughafen von Saloniki überwachten; deshalb wollten sie sich in den Süden des Landes durchschlagen. Vor allem wollten sie Katerini meiden, den Ort, der, wie es schien, von den Orphikern unterwandert war. Über Elasson planten sie nach Larissa zu gelangen; dort sollten sich ihre Wege trennen.
    Kleiber schlug vor, Anne sollte die Heimreise von Korfu aus antreten. Er selbst wollte sich nach Patras durchschlagen. In beiden Orten gab es Konsulate, die ihnen weiterhelfen würden. Kleibers Idee lag der Gedanke zugrunde,

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