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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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verschwand. Auf dem Namensschild stand zu lesen: Rafshani, ein arabischer, eher persischer Name, der ihm nichts sagte, der höchstens seine Phantasie beflügelte wie der Fund zierlicher Damenschuhe in der Zelle des Mitbruders.
    Und während Kessler mit dem einen Ohr an der Wohnungstür lauschte, während das andere die Vorgänge im Treppenhaus überwachte, geschah das Unerwartete: Die Tür wurde von innen geöffnet, und plötzlich stand Losinski vor ihm, klein und geierhaft mit seiner Höckernase und tiefliegenden Augen.
    Die beiden sahen sich stumm an, aber beider Blicke sagten dasselbe: Ha, ich habe dich ertappt. Losinski, der schneller seine Fassung wiederfand als der andere, trat ganz nahe an Kessler heran, verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, wobei er – bei ihm ein Zeichen drohender Angriffslust – den Kopf leicht schräg stellte wie ein Geier, und zischte leise: »Sie spionieren mir nach, Bruder in Christo? Von Ihnen hätte ich das zuletzt erwartet. Veritatem dies aperit  …«
    In der Tat fühlte sich Kessler ertappt wie ein Ministrant bei sündhaftem Treiben, deshalb fand er auch keine Antwort, obwohl ihm seine innere Stimme sagte, daß es doch eigentlich Losinski war, der sich ertappt fühlen mußte. Der aber zog die Tür hinter sich zu, faßte den Mitbruder am Arm und drängte ihn zur Treppe nach unten: »Ich glaube, wir müssen uns unterhalten. Meinen Sie nicht auch?«
    Kessler nickte heftig. Fürs erste schien die Spannung zwischen den beiden gelöst. Kessler empfand es jedenfalls so, und nachdem sie schweigend das düstere Haus verlassen hatten, nahm Losinski das Gespräch wieder auf. Er wirkte in keiner Weise verunsichert und erkundigte sich freundlich, ob er, Kessler, Näheres über ihn, Losinski, in Erfahrung gebracht habe. Kessler verneinte und gestand, daß ihm zunächst nur seine regelmäßige Abwesenheit im Kloster San Ignazio aufgefallen sei; aber erst im Zusammenhang mit seinen scharfen Angriffen auf Manzoni sei er nachdenklich geworden und schließlich neugierig. Losinski nickte lächelnd.
2
    A uf dem Campo dei Fiori suchten sie eine Trattoria auf, und der Pole bestellte Lambrusco. Warum Kleriker mit Vorliebe Lambrusco trinken, soll hier nicht weiter erörtert werden, es ist auch für den Fortgang der Geschichte nur insofern erwähnenswert, als Lambrusco schneller die Zunge löst als andere süße Weine, und man kann annehmen, daß Losinski durchaus eine Absicht damit verband.
    Lange Zeit tappte Kessler im dunkeln, worauf der Mitbruder hinauswollte, ja, er wunderte sich, warum Losinski ihm keine Vorhaltungen machte; aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, der Pole lobte Kesslers Intelligenz und Einsicht, die jener der meisten Mitbrüder überlegen und deshalb durchaus geeignet sei, größere Aufgaben zu bewältigen als die Übersetzung eines koptischen Pergaments nach den Vorgaben der römischen Kurie, und er fügte hinzu: »Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Einen Augenblick dachte Kessler nach, erfolglos, dann erwiderte er mit einem Kopfschütteln: »Kein Wort, Bruder Losinski, tut mir leid.«
    Losinski strich sich mit der flachen Hand über den glattrasierten Schädel, ein gewohnter Hinweis, daß er angestrengt nachdachte, dann goß er sich und Kessler ein weiteres Glas Lambrusco ein und begann umständlich: »Unsere Arbeit ist genaugenommen eine Farce, weil Manzoni unsere Übersetzungen des Pergaments verfälscht.«
    »Verfälscht?«
    »Ja, verfälscht. Und zwar im Auftrag der Kurie. Die Kongregation für Glaubensfragen hat allergrößte Schwierigkeiten, mit dem Inhalt des fünften Evangeliums – das, wie wir beide wissen, eigentlich das erste ist – fertig zu werden. Die Herren Purpurträger fürchten um ihre Pfründe, und deshalb lautet die Order aus dem Heiligen Offizium, das fünfte Evangelium den bekannten in Wort und Inhalt anzugleichen, damit keine Diskussion um die Glaubhaftigkeit der anderen losgetreten werde; es gebe schon genug Häretiker, die die Glaubenskongregation beschäftigen.«
    »Aber das ist doch nicht möglich, Bruder in Christo!« Kessler schlug mit der Hand auf den Tisch.
    »Es ist möglich!« beteuerte Losinski und ließ von seinem unbehaarten Schädel ab. »Das Offizium wird sich sogar alle Mühe geben, die Veröffentlichung des Pergaments zu verhindern.«
    »Obwohl es doch zweifelsfrei echt ist …«
    »Obwohl es zweifelsfrei echt ist. Ihr kennt doch die trefflichste aller christlichen Tugenden!«
    »Demut!«
    »O nein, Bruder in Christo:

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