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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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nach draußen blickte. Keine fünfzig Meter entfernt lagen das Wachhaus und der Bach, kaum zu erkennen im dichten Regen.
    »Wo sind wir?« erkundigte sich Kleiber unsicher.
    »Keine Sorge, ich kenne mich aus. Wenn es uns gelingt, unbemerkt an dem Wärterhaus vorbeizukommen, haben wir das Schlimmste hinter uns. Glaub mir!«
    Anne war bestrebt, Kleiber Mut zu machen; sie selbst wollte nicht so recht glauben, daß es wirklich so einfach gewesen sein sollte, aus Leibethra zu entkommen. Vor allem, wenn sie daran dachte, wie sie hierher gelangt war, kamen ihr Zweifel. Jedenfalls hätte sie sich nicht gewundert, wenn aus dem Wärterhaus ein Mann getreten wäre und mit vorgehaltener Waffe gesagt hätte: »Wir haben Sie schon erwartet. Kommen Sie.« Aber nichts geschah.
16
    D er Regen wirkte nicht gerade wie eine Aufforderung, die schützende Hütte zu verlassen, dennoch waren sich die beiden einig, daß sie hier keine Minute länger verweilen dürften. Kleiber legte Anne einen leeren Sack um die Schultern, ein bescheidener Schutz vor Regen und Kälte; er selbst rollte die Plane zu einem Bündel, dann öffnete er das Tor, von dem ein Weg geradewegs zu dem Wärterhaus führte, einen Spalt und sagte im Flüsterton: »Warum in aller Welt verschwinden wir nicht in entgegengesetzter Richtung? Warum müssen wir unbedingt an dem Haus vorbei?«
    Anne stieß das Tor etwas weiter auf, so daß Adrian die nächste Umgebung erkennen konnte. »Deshalb«, sagte sie kühl, und Kleiber erkannte, daß hinter der Talstation steiler Fels zu dem Bach abfiel, und mit einem Fingerzeig fügte Anne hinzu: »Glaube mir, das ist der einzige Weg, der ins Tal führt.«
    Da packte Kleiber mit der einen Hand sein Bündel, mit der anderen faßte er Anne bei der Hand, dann rannten beide los, auf die Hütte zu.
    Kalter Regen prasselte ihnen ins Gesicht, der Boden war aufgeweicht und matschig. Ihren Blick starr auf das Wärterhaus gerichtet, hetzten sie in diese Richtung. Dort angekommen, schlichen sie in geduckter Haltung vorbei, dann rannten sie den steinigen Weg talwärts, immer talwärts, bis Anne, von einem Stechen in der Seite gepeinigt, keuchend innehielt.
    In den Bäumen um sie herum rauschte der Regen. Reifenspuren auf dem Fahrweg verrieten, daß vor nicht allzu langer Zeit ein Auto die Stelle passiert haben mußte; aber außer dem Regen war kein Geräusch zu vernehmen. Adrian entrollte die Plane, zog sie über seinen Kopf und forderte Anne auf, ebenfalls unter dem Regendach Schutz zu suchen.
    So trotteten sie in enger Umarmung talwärts. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, nicht nur, weil ihre Flucht bald bemerkt werden würde – die Dämmerung brach herein, und in der Dunkelheit war an ein Weiterkommen nicht zu denken. Sie redeten kaum, während sie entkräftet talwärts stolperten; ab und zu nur hielten sie inne und lauschten nach verdächtigen Geräuschen, dann setzten sie ihren Weg fort.
    Anne hatte Mühe, den Weg wiederzuerkennen. Regen verändert die Landschaft. Aber sie wußte, daß es nur den einen Weg ins Tal gab. Ihre Füße schmerzten, weil sie immer wieder ausglitt und das Gleichgewicht verlor. Dazu kam die Kälte, die ihr mehr und mehr zu schaffen machte und ihr das Ende ihrer Kräfte signalisierte.
    Sie hatten gerade ein Zehntel der Strecke bis zur Einmündung des Feldweges in die Hauptstraße zurückgelegt, und als Anne Adrian davon in Kenntnis setzte, meinte dieser, sie müßten irgendwo abseits einen Unterschlupf suchen, wo sie die Nacht verbringen konnten. Anne erinnerte sich an einen Heustadel oder Schafstall am Ende des steileren Teiles des Weges, aber bis dorthin, gab sie zu bedenken, seien es gewiß noch zwei Stunden, und dann sei es dunkel.
    Aus diesem Grund verließen sie den Fahrweg und stiegen ein Stück bergwärts auf eine Böschung zum Fuße eines Felsenkamins, dessen steinerne Nadeln wie zwei Schwurfinger in den dunklen Himmel ragten. Wind und Wetter hatten das Gestein brüchig gemacht und die Fundamente mehrfach gesprengt, so daß dort, wo der Fels in das steinige Erdreich überging, natürliche Aushöhlungen entstanden waren, als Schutz für die Nacht gut geeignet.
    »Nicht komfortabel«, bemerkte Kleiber, »aber trocken, und vor der Kälte schützt die Höhle auch.«
    Anne nickte zustimmend. Nicht einmal als Kind hatte sie je im Freien übernachtet, aber jetzt war ihr alles gleichgültig. Sie war todmüde und wollte nur etwas schlafen. Kleiber erging es nicht anders. Zwar versuchte er den Eindruck zu erwecken, daß

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