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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zwei Pfeile markierten Berg- und Talfahrt, und die einzige Schwierigkeit, stellte Adrian fest, würde darin bestehen, den Handschalter umzulegen und auf die anfahrende Gondel, eine an vier Ketten aufgehängte Kiste ohne Deckel, aufzuspringen; dann, meinte Kleiber, müßten sie in ihren Säcken verschwinden und stillhalten, denn die offene Gondel sei von der Bergstadt aus einzusehen. Ob ihr die Talstation bekannt sei?
    Anne lächelte verschmitzt: »Der Mann, der mich hierhergeführt hat, gehört, was ich nicht wußte, zu den Orphikern. Er war von Anfang an auf mich angesetzt. Das habe ich erst hier erfahren. Aber er hat einen Fehler gemacht, er hat mir auf dem Weg hierher die Talstation gezeigt. Sie liegt abseits hinter der Wachstation am Eingang der Unterstadt.«
    Da fuchtelte Adrian aufgeregt in der Luft herum: »Eine Falle, das ist eine Falle!«
    »Glaube ich nicht«, erwiderte Anne ruhig, »obwohl – diesen Leuten muß man alles zutrauen. Hast du Angst?«
    Statt zu antworten, fiel Kleiber Anne in die Arme. Sie fühlte, daß Adrian sich fürchtete, und wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß auch sie Angst verspürte. Was würde geschehen, wenn ihre Flucht auf halbem Weg entdeckt würde? Sie beide hilflos zwischen Himmel und Erde? Anne mochte nicht daran denken.
    Wie sie Adrian in den Armen hielt, stürmten wieder jene aufgestauten Gefühle auf sie ein, die sie in den letzten Wochen erfolgreich verdrängt hatte. Sie liebte diesen Mann – auch wenn sie nicht den Mut aufbrachte, ihm ihre Liebe einzugestehen. Schon gar nicht in dieser Situation. Draußen begann es zu regnen. Dicke Tropfen klatschten auf das Blechdach, und vom Tal krochen Nebelschwaden bergwärts. Anne verzog das Gesicht und blickte skeptisch ins Tal. »Verdammt!« sagte sie leise, »auch das noch.«
    »Warum?« wehrte Kleiber ab. »Etwas Besseres konnte uns gar nicht passieren.« Er zog eine grüne Plane unter den Säcken hervor. »Auf diese Weise können wir uns unter einer Plane verstecken, ohne daß irgend jemand Verdacht schöpft.«
    »Du hast recht«, erwiderte Anne, während Kleiber, der zusehends an Rührigkeit gewann, sich an dem elektrischen Schalter zu schaffen machte.
    »Da ist ein Problem«, murmelte Adrian nachdenklich.
    »Und welches?« Anne trat näher.
    »Wenn ich diesen Schalter umlege, fährt die Gondel los – ohne mich.«
    »Hm.« Anne machte ein nachdenkliches Gesicht. »Und nun?«
    »Ich habe da eine Idee«, meinte Kleiber und sah sich in dem engen Raum um.
    »Und die wäre?«
    »Ich brauche ein Stück Draht oder eine starke Schnur.«
    »Hier!« rief Anne und zeigte auf ein Seil, das dazu diente, die Planen zu verschnüren.
    Kleiber nahm das Seil und machte sich daran, das eine Ende an dem Griff des Handschalters zu verknoten. Dann führte er es senkrecht nach unten, durch die Klinke eines Werkzeugschrankes und geradewegs zu der Gondel. Anne staunte: »Das ist ja genial. Ja, so muß es funktionieren. Einfach genial!«
    Kleiber lachte: »Das wird sich herausstellen. Ich sehe jedenfalls keine andere Möglichkeit.«
    Wind war aufgekommen. Er heulte durch die Ritzen der Bergstation, und Anne blinzelte besorgt nach draußen. Adrian lud leere Säcke in die Gondel, darüber breitete er die Plane aus und warf Anne einen Blick zu. Einsteigen! »Angst?« fragte er mit einem aufmunternden Lächeln.
    Ohne zu antworten, kletterte Anne in die Gondel und schlüpfte unter die Plane. Adrian gab ihr das Seil, das zum Schalter führte, in die Hand, dann schwang er sich selbst in das schaukelnde Gefährt und machte es sich bequem, so gut es ging. Für Augenblicke schwiegen beide, den Blick zu Tal gerichtet, wo sich ein Unwetter zusammenbraute.
    Um sich selbst Mut zu machen, sagte Anne: »In zehn Minuten ist alles vorbei«, und ironisch fügte Kleiber hinzu: »Da unten steht sicher schon das Empfangskomitee bereit.« Dann zog er an der Leine.
    Mit einem quietschenden Geräusch fuhr der Handgriff des Schalters nach unten, gleichzeitig setzte sich die hölzerne Gondel zuckend und ruckend in Bewegung. Anne und Adrian zogen die Plane über ihre Köpfe und ließen nur einen Spalt frei, durch den sie talwärts blicken konnten. Der Regen wurde heftiger, er prasselte lautstark auf die Plane. Heftige Windböen brachten die Gondel zum Schwanken, und in ihrer Angst drückte Anne Kleibers Hand. War es die anhaltende Wirkung der Drogen, oder hatte Adrian seinen Mut wiedergefunden, jedenfalls zeigte er kaum noch Furcht; er schien zu allem entschlossen,

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