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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Gesichtsausdruck, schließlich herrschte er ihn an: »Zeigen Sie mir die Stelle! Wo sind Sie auf Barabbas gestoßen?«
    Kessler grinste, weil er merkte, daß er mit seiner Provokation Erfolg hatte, und deshalb ließ er sich mit seiner Antwort Zeit. Dabei wurde ihm bewußt, Manzoni mußte den vor ihm liegenden Text zumindest so gut kennen, daß ihn die Erwähnung des Namens überraschte. Kesslers Wut steigerte sich: Wozu mühte er sich dann überhaupt noch mit diesem Fragment ab?
    »Ich habe Sie etwas gefragt, Bruder in Christo«, zischte Manzoni leise. Die Situation, vor allem, daß die übrigen Brüder mithörten, war ihm äußerst unangenehm. Deshalb kam er ganz nahe an Kessler heran, damit dieser möglichst leise sprach. Aber Kessler ließ sich nicht einschüchtern, und er antwortete lauter als nötig: »Monsignore, zuerst habe ich Ihnen eine Frage gestellt. Warum antworten Sie nicht?«
    Mit soviel Unverfrorenheit aus dem Munde des jüngsten Jesuiten hatte der Profeß offensichtlich nicht gerechnet. Er hüstelte verlegen und blickte nervös um sich, dann zog er ein weißes Taschentuch hervor und wischte über seinen Hals (eine Geste, die eher dazu diente, Zeit zu gewinnen als den Schweiß abzutrocknen). »Barabbas?« meinte er schließlich mit gespielter Ruhe. »Ich verstehe Ihre Frage nicht, Barabbas ist der Urheber dieser Schrift. Das wissen Sie doch!«
    Kessler ließ nicht locker: »Das ist nicht meine Frage, Monsignore. Was ich wissen will, ist: Wer verbirgt sich hinter diesem Namen?«
    »Eine völlig unsinnige Frage«, erwiderte Professor Manzoni schnoddrig, »da könnten Sie ebenso die Frage stellen: Wer verbirgt sich hinter dem Namen Paulus!«
    »Ein schlechter Vergleich!« rief Kessler. »Diese Frage brauche ich nicht zu stellen, weil sie bereits in zahllosen theologischen Abhandlungen beantwortet wurde.«
    Da fand Manzoni endlich eine Erwiderung, um Kessler zum Schweigen zu bringen, er sagte: »Es wird unsere Aufgabe sein, das zu erforschen; warum übernehmen nicht Sie diesen Part, Bruder in Christo?« Manzoni lachte, und mit ihm jene Jesuiten, die er auf seiner Seite wußte.
    »Nun aber zu meiner Frage«, sagte Manzoni, der nun die Fassung wiedergefunden hatte. »An welcher Stelle sind Sie auf den Namen Barabbas gestoßen?«
    »Keinesfalls hier auf diesem von Mäusen zerfressenen Blatt«, sagte Kessler, »ich hatte nur so eine Ahnung …«
    »Eine Ahnung? Was soll das heißen, Sie hatten so eine Ahnung?«
    Kessler hob die Schultern und verzog sein Gesicht, aber er antwortete nicht, er sah Manzoni nur an und lächelte süffisant. Ja, er gab sich betont gleichgültig und unbeteiligt, und das mußte seinem Gegner Angst einjagen. Die Augen Manzonis irrten nervös durch den Saal, als suche er Hilfe bei einem anderen, aber die gaben sich mit besonderer Geschäftigkeit ihren Textstudien hin.
8
    V on Stund an trennte Kessler und Manzoni ein Graben abgrundtiefen Mißtrauens, und Kessler hätte eigentlich erwarten müssen, daß der Profeß ihn nach Hause schickte, ihm unter einem fadenscheinigen Grund die Zusammenarbeit aufkündigte; doch er ahnte nicht, wie sehr Manzoni ihn fürchtete. Manzoni war der festen Überzeugung, daß Kessler, dank Losinski, mehr wußte, als er preisgab. Insofern wäre es töricht gewesen, den jungen Deutschen auszuschließen; im Gegenteil, Manzonis Plan war es, Kessler mit Sonderaufgaben zu betrauen, die verhindern sollten, daß er sein Wissen ausplauderte. Jeder Orden verfügt über zahlreiche solcher Sonderaufgaben, die geeignet sind, einen Kleriker für viele Jahre verschwinden zu lassen, wenn nicht für immer.
    Kessler muß das geahnt haben – und bei nüchterner Betrachtung seiner Situation lag ein solches Vorhaben auf der Hand –, jedenfalls ließ er große Vorsicht walten und entwickelte ungewöhnliche Aktivitäten. Der erste Versuch, über Losinskis Nachlaß an weitere Informationen heranzukommen, scheiterte. Zwar gab ihm der Abt des Klosters San Ignazio, ein kleiner weißhaariger Römer namens Pio, die Erlaubnis, sich unter seiner Aufsicht in Losinskis Zimmer umzusehen (schließlich seien sie Freunde gewesen), aber die Klosterzelle war äußerst gründlich durchsucht worden – was der Abt mit Entrüstung zurückwies –, jedenfalls fehlten alle Dokumente und vor allem die Mappe, die Hinweise auf seine Forschungen gaben. Sogar der Sack mit dem Schuhwerk, an dem Losinski sich über die Maßen ergötzt hatte, war nicht mehr da.
    Für Kessler gab es unter den Spuren, die

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