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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Losinski gelegt hatte, nur noch eine, die Erfolg versprach: das Haus nahe dem Campo dei Fiori. Natürlich mußte er damit rechnen, daß er auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Deshalb legte er sich einen Plan zurecht, wie er mögliche Verfolger abschütteln konnte. Der Plan war ebenso einfach wie genial: Zu Fuß kundschaftete er einen umständlichen Weg von San Ignazio zum Campo dei Fiori aus, ohne sich seinem eigentlichen Ziel zu nähern, am Tag darauf bestieg er gegen Abend ein Fahrrad, das er vom Pförtner geliehen hatte. Damit kam er im dichten römischen Verkehr schneller voran als mit jedem anderen Fortbewegungsmittel.
    Kessler verschwand mit seinem Fahrrad in dem finsteren, kalten Hauseingang. Und während er die breiten, ausgetretenen Treppen nach oben stieg zu der Wohnung, die Losinski so oft besucht hatte, machte er sich seine Gedanken, was ihn dort erwarten würde. Er wußte es nicht, er ging nur einem Gefühl nach, das ihm sagte, daß die häufigen Besuche in diesem Haus in irgendeinem Zusammenhang standen mit seiner Entdeckung. Er wußte nicht einmal, auf welche Weise er sich Zutritt verschaffen sollte außer mit dem Hinweis, er sei ein Freund Losinskis und er habe das Attentat auf wundersame Weise überlebt.
    Gleichzeitig kam ihm ein Gespräch in den Sinn, das er vor langer Zeit mit Manzoni geführt hatte. Dabei war es um Losinski gegangen, und die Worte des Profeß klangen ihm noch im Ohr: Er solle vor Losinski auf der Hut sein, denn Losinski sei zwar ein hervorragender Wissenschaftler, aber im Grunde seines Herzens sei Losinski ein Ketzer, und Manzoni könne sich vorstellen, daß Losinski unseren Herrn Jesus für dreißig Silberlinge verrate wie Judas Ischariot.
    Nach all dem, was Kessler von Losinski erfahren hatte, bekamen diese Worte ein anderes Gewicht. Es schien, als hätten sich Manzoni und Losinski weniger in ihrem Wissen unterschieden als in ihrer Bereitschaft, dieses Wissen zu verbreiten. An sich ist Schweigen keine Sünde, jedenfalls spricht sich keines der zehn Gebote gegen das Schweigen aus; doch der Kirche ist es gelungen, schweigend mehr zu sündigen als andere mit bösen Worten.
    Ohne innezuhalten, drückte Kessler auf den Klingelknopf neben der weißen Tür im dritten Stock. Innen näherten sich Schritte, die Tür wurde einen schmalen Spalt geöffnet, und das breite Gesicht eines Mannes erschien in der Öffnung: »Was wollen Sie? Wer sind Sie?«
    »Mein Name ist Kessler. Ich bin ein Freund Losinskis«, sagte Kessler kleinlaut. In diesem Augenblick hatte er alles andere vergessen.
    »Losinski hatte keine Freunde«, entgegnete der Mann durch die Türöffnung und schickte sich an, die Tür zu schließen.
    Da schob Kessler seine Hand dazwischen, und er rief heftig: »Ich bin der Mann, der mit ihm erschossen werden sollte!«
    Einen langen Augenblick geschah nichts. Dann wurde langsam die Tür geöffnet, und es erschien die Gestalt eines untersetzten Mannes mit glattem Schädel. Der Mann machte eine einladende Handbewegung, und Kessler trat ein. In der Mitte des großen Vorraumes mit sechs Türen nach allen Richtungen blieb er stehen. Der untersetzte Mann trat auf ihn zu, und ehe er sich versah, riß er Kessler in seine Arme. Im selben Augenblick wurde eine der Türen geöffnet, und Kessler erkannte eine Frau im Rollstuhl.

Neuntes Kapitel
    D IE V ERLIESE DES I NNOZENZ wiederentdeckt
1
    D ie wöchentliche Pressekonferenz in der Sala d'Angeli im Vatikan ging langweilig zu Ende wie an den meisten Donnerstagen. Nicht einmal fünfzig Journalisten waren der Einladung von Padre Mikos Vilosevic, einem jugoslawischen Geistlichen, der das vatikanische Presseamt leitete, gefolgt. Die übrigen in Rom akkreditierten Pressevertreter wußten, daß Vilosevic nichts zu sagen hatte, weil alles, was hinter den Leoninischen Mauern ablief, ohnehin höchster Geheimhaltung unterlag.
    So wäre auch diese Pressekonferenz, bei der es in der Hauptsache um die mögliche Seligsprechung einer südamerikanischen Nonne ging, die ihre Sozialarbeit in den Slums von Rio vor sieben Jahren mit dem Leben bezahlt hatte, in keiner Weise erwähnenswert gewesen, hätte nicht Desmond Brady, Leiter des Rom-Büros des US-Senders NBC und für gewöhnlich gut unterrichtet über alle Interna des Vatikans, abschließend die Frage gestellt: »Padre, was ist dran an den Gerüchten, daß seine Heiligkeit an einer neuen Enzyklika arbeite?«
    Vilosevic' Antwort kam knapp und kühl: »Davon ist mir nichts bekannt. Ich bedauere.«
    »Sie soll

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