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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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warfen wie › caveto , Romane‹ – zu deutsch: ›Bleib mir bloß vom Leibe, Römer!‹, was der Gegner stets mit den Worten bedachte: › Nullos aliquando magistros habuis nisi quercus et fagos ‹ – ›Ach du, du hast doch keine anderen Lehrer gehabt als Eichen und Buchen!‹
    Der seltsame Umgangston unter den freisinnigen Mönchen konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie in allerhöchstem Auftrag mit einer Sache befaßt waren, die furchtbare Verwirrung stiftete wie der Turmbau zu Babel. Vom Bibelinstitut der Gregoriana wurde sie als secretum maximum , also unter Geheimhaltungsstufe eins, bearbeitet, vergleichbar nur mit dem Mysterium der zehn Tage, die Papst Gregor aus dem Kalender strich, als er die nach ihm benannte Zeitrechnung einführte. Manzoni hatte Koptologen, Altphilologen, Bibelwissenschaftler und die besten Paläographen aus der Schule Traubes und Schiaparellis um sich versammelt und unter Ordenseid zu Stillschweigen verpflichtet, ohne daß auch nur einer wußte, worum es wirklich ging.
    Genaugenommen beruhte die Arbeit der dreißig Jesuiten auch zu diesem Zeitpunkt noch auf reinen Theorien, aber die ganze Kirche beruht auf Hypothesen, und deshalb nimmt die Kurie jede neue Theorie ernst. In diesem Fall waren Fragmente einer Pergamentrolle aufgetaucht, ein furchtbares Menetekel für die Mutter Kirche, wie die Geisterschrift beim Gastmahl des babylonischen Königs Belsazar, der ein elendes Ende fand. Keiner der gelehrten Männer wagte auszusprechen, worum es sich dabei handeln könnte, derweil immer neue Blätter und Fetzen derselben Quelle auftauchten, schon in Andeutungen furchterregend genug.
    Erschwerend kam hinzu, daß die Fragmente, wie Untersuchungen mit der Radiokarbonmethode erwiesen hatten, in das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung datiert werden mußten, ein Zeitraum, der die römische Kurie stets in höchste Unruhe versetzt, sobald eine schriftliche Hinterlassenschaft auftaucht. Nicht zum ersten Mal war offensichtlich ein Zufallsfund oder eine heimliche Ausgrabung unsachgemäß behandelt und um des größeren Profits zerteilt und in verschiedene Länder verkauft worden, ohne zu ahnen, worum es sich bei der Pergamentrolle handeln könnte.
    Außer daß es ein koptisches Textbuch war, fand sich zunächst kein Hinweis, bis sich vor etwa fünf Jahren Experten an die Entschlüsselung einzelner Fragmente machten, die verblüffende Ähnlichkeit mit den Evangelientexten von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes aufwiesen, bisweilen aber auch seltsame Abweichungen und Ungereimtheiten, vergleichbar etwa dem Gegensatz der drei zusammenhängenden Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas und jenem ganz anders gearteten des Johannes, das der Kirche noch heute Schwierigkeiten macht wie das Dogma der unbefleckten Empfängnis.
    Dies, vorausgeschickt, mag erklären, warum Ordensgeneral Piero Ruppero von allerheiligster Seite unter strengster Geheimhaltung beauftragt wurde, mit Hilfe seiner fähigsten Ordensbrüder Societatis Jesu alle erreichbaren Fragmente aufzukaufen, unter Verschluß zu nehmen und zu übersetzen oder, wo der Erwerb unmöglich sei, Textkopien zu beschaffen. General Ruppero hatte das geheime Projekt nach der Ordo SJ an seinen Generalassistenten Manzoni delegiert, der wiederum von den Regionalassistenten aller 63 Provinzen Experten anforderte, darunter den Polen Losinski, einen Mann, dessen äußere Erscheinung sogar den Teufel schrecken konnte wie ein Weihwasserwedel.
    Losinski hatte das Zeug zum Geheimagenten; er war ein Draufgängertyp und – vor allem im Umgang mit Manzoni – von einer Direktheit, die die anderen manchmal zusammenzucken ließ. Den Koadjutor Societatis Jesu sah man Losinski nicht an, nicht einmal aus der Nähe; im Gegenteil, bei Bedarf stellte er glaubhaft einen Hehler der Unterwelt dar, der sich als Antiquitätenschieber durchs Leben schlägt. Wahrhaft fromm, pflegte er zu sagen, sind ohnehin nur die, denen man die Frömmigkeit nicht ansieht. (In erster Linie war dieser Satz gegen Manzoni gerichtet, der seine Entrücktheit – um kein abfälliges Wort zu gebrauchen – stets im blassen Gesicht trug und auch im dunklen Straßenanzug den Jesuiten nie verheimlichen konnte.)
    Die besondere Stärke Losinskis lag in seiner Vielfalt und der damit verbundenen Weltgewandtheit, die Ordensbrüdern gemeinhin abgeht. Seinem außerordentlichen Geschick war es zu verdanken, daß er von einer Amerika-Reise drei Fragmente der genannten Pergamentrolle

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