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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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küßte wie ein Wunderheiler mit einer ungewöhnlichen Therapie.
    Im ersten Augenblick schien es, als genieße Anne die Wärme des Mannes, als wolle sie sich ihm hingeben; aber als Kleiber sie in den Sessel ihres Hotelzimmers drückte, wo die Szene sich zufällig abspielte, als er vor ihr kniete und sein Gesicht in ihrem Schoß vergrub, da schüttelte sich Anne plötzlich, als würde ihr Körper von einem Stromstoß durchfahren, sie packte Adrian an den Haaren und schleuderte ihn beiseite und schrie ihn an, ob er nichts anderes im Kopf habe und er solle sich zum Teufel scheren.
    Kleiber beendete den peinlichen Zwischenfall, der ihm selber mehr leid tat als Anne (sie schien an diesem Morgen wirklich nicht bei klarem Verstand), indem er auf den Parkplatz vor dem Hotel lief, ins Auto sprang, den Motor aufheulen ließ, was eine ungemein beruhigende Wirkung auf ihn ausübte, und den schweren Dodge auf den Freeway Nr. 5 in südlicher Richtung lenkte.
    Nach zehn Minuten zügiger Fahrt passierte Kleiber die mexikanische Grenze, wo ihn ›die größte Kleinstadt der Welt‹, wie ein Transparent über der Straße verkündete, mit Lärm, Staub und zahlreichen Gerüchen ekelerregender Art empfing. Einen Tag und eine halbe Nacht soff Kleiber sich durch die Kneipen von Tijuana, schüttelte Scharen bettelnder Kinder und ebenso viele billige Huren von sich ab wie lästiges Ungeziefer, und suchte gegen Mitternacht den Weg zurück über die wie ein breiter weißer Strich erleuchtete Grenze nach San Diego.
    Im Hotel angekommen, eröffnete ihm der Portier, Mrs. Seydlitz habe sich zur vorzeitigen Abreise entschlossen, und Kleibers Frage, ob sie ihm eine Nachricht hinterlassen habe, beschied der freundliche Alte mit nein, er bedauere.
    Es wäre falsch zu behaupten, daß es ihm in dem Augenblick leid getan hätte. Anne hatte ihn in seinem Innersten gekränkt, und er konnte sich auch gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, falls Anne noch das Nebenzimmer bewohnt hätte. Wie hätte er sich verhalten sollen? Sie um Verzeihung bitten? Wofür? War er ihr nicht in den letzten Wochen mit aller Zurückhaltung und Zuvorkommenheit begegnet, die einen wahren Freund auszeichnet?
    Zweifellos hatte Anne mit ihrer Szene am Vortag Kleiber auf unverzeihliche Weise gedemütigt. Nicht nur die Ereignisse der letzten Zeit, auch die Persönlichkeit Annes hatte etwas Unheimliches, Unberechenbares angenommen. Dabei hatte er diese Frau lieben gelernt, trotz ihres immer unberechenbarer werdenden Verhaltens, ihre Mischung aus Hilflosigkeit und wacher Intelligenz, ihre Schutzbedürftigkeit auf der einen und Selbständigkeit auf der anderen Seite. Ja, er liebte sie und wünschte nichts sehnlicher als die Lösung ihrer Probleme; doch wenn er eine Bilanz der gemeinsamen Recherchen zog, mußte er sich eingestehen, daß seine persönlichen Probleme dadurch eher größer als kleiner geworden waren. Und Anne von Seydlitz schien inzwischen zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß sie sehr gut ohne ihn auskommen konnte. War ihre Abreise nicht der beste Beweis dafür?
    Kleiber überlegte, wie es wohl in Annes Kopf aussehen mochte, ob sich überhaupt Platz fand für ihn. Hatte sie ihn jetzt nicht nur benutzt, seine Hilfe gebraucht, um ihn nun, da sie erkannte, daß er ihr nicht weiterhelfen konnte, abzuschieben wie einen unliebsamen Einwanderer? Doch hatte er eine andere Wahl, als ihr nachzureisen?
    Mit weinerlichen Gedanken, die einen von Tequila triefenden Mann befallen, und ohne seine Kleider auszuziehen, schlief Kleiber auf seinem Hotelbett ein.

Sechstes Kapitel
    D ER P FERDEFUSS DES T EUFELS Indizien
1
    A n der Stirnseite des langen Saales, durch dessen hohe Fenster zur Linken das glänzende Morgenlicht eines römischen Herbsttages fiel, prangte, auch von den hinteren Plätzen sichtbar, die Inschrift in goldenen Lettern: Omnia ad maiorem Dei gloriam. Alles zur höheren Ehre Gottes. Wie die Sprossen einer Leiter waren schmale Tische in dem Saal quergestellt, exakt ausgerichtet in gleichem Abstand, einer hinter dem anderen, und nur auf der rechten Seite, wo sich Bücher und alte Folianten bis zur hohen Decke des Raumes stapelten – eine jede Reihe mit einem Buchstaben-Code versehen, der in Kürzeln wie ›Scient, theol.‹ oder ›Synop. hist.‹ oder ›Mon. secr.‹ viel Wissen und viel Heiligkeit verriet –, war ein schmaler Gang, durch den sich die schwarzgrau gekleideten Jesuiten Zugang zu ihren Arbeitsplätzen verschafften.
    Der Saal in einem Rückgebäude der

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