Das Fuenfte Evangelium
mitgebracht hatte. Eines hatte er einem Privatsammler abgeschwatzt, für eine stolze Summe zwar, aber immerhin; ein zweites hatte er beim Bibelinstitut der Universität Philadelphia im Tausch gegen ein größeres Ritenfragment erworben; und ein drittes, das vielleicht bedeutendste, hatte Losinski, weil ihm das Original in San Diego am dortigen Institut für Komparatistik der Universität von Südkalifornien versagt blieb, zumindest als brauchbare Kopie erworben, ohne zu wissen, welche Bedeutung jedem dieser drei Mosaiksteine zukam.
Von der Komplettierung der zahlreichen Felder in dem mühevollen Puzzle abgesehen, kam den beiden ersten Fragmenten der Pergamentrolle keine Bedeutung zu, nur das dritte, das nur als Kopie vorlag, gab den Jesuiten Rätsel auf in bezug auf den Inhalt seiner Worte, vor allem aber hinsichtlich der Einordnung an der richtigen Stelle. Gewisse Anhaltspunkte ließen die Einordnung an drei verschiedenen Stellen zu, und das machte die Arbeit nicht gerade leicht.
Auf Weisung Manzonis hatte Losinski mit der kalifornischen Universität korrespondiert und versucht, das Original doch noch zu erhaschen und zum Tausch ein Leonardo-Autograph über anatomische Forschungen angeboten. Die Antwort war ausgeblieben. Mit Erstaunen mußte Losinski in der Zeitung erfahren, daß sein Verhandlungspartner, der damalige Leiter des Instituts, nach einem Säureattentat auf ein Gemälde Leonardos im Pariser Louvre verhaftet und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden war.
Die Nachricht traf Losinski schwer. Er hatte Professor Marc Vossius als lebensfrohen, hochgebildeten Mann kennengelernt, der ihm gewisse Sympathien entgegenbrachte, wenn er sich auch deutlich zurückhielt, was seine eigentliche Forschungsarbeit betraf. Wie Vossius in geistige Umnachtung fallen konnte, die ihn zu einer solchen Tat befähigte, war dem Jesuiten unerklärlich. Losinski hatte darin indes eine letzte Chance erblickt, Vossius in Paris aufzusuchen und nach der Bedeutung seines Fragmentes zu befragen. Dabei war er einem anderen begegnet als dem, mit dem er in Kalifornien verhandelt hatte, was Losinski dem psychischen Zustand des Patienten zuschrieb. Jedenfalls hatte Vossius sich abweisend verhalten und auf das Institut der Universität verwiesen, das für derlei Belange zuständig sei, so daß der Jesuit die Unterredung nach kurzer Diskussion abbrach und sich mit dem Segen des Allerhöchsten empfahl.
Die Jesuiten der Gregoriana in Rom waren weit davon entfernt, einen Zusammenhang zwischen dem Pergament und der Wahnsinnstat des Professors zu suchen; dennoch setzten sie seit jenem Ereignis ihre paläographischen Studien an diesem Fragment mit besonderem Nachdruck fort, und zum ersten Mal tauchte der Verdacht auf, der Professor könne die überlassene Kopie verfälscht, also in wesentlichen Punkten auf teuflische Weise verändert oder mit zusätzlichen Fehlstellen versehen haben, um seinen eigenen Forschungen einen uneinholbaren Vorsprung zu verschaffen. Denn mit dem Wissen wachsen die Zweifel, und nirgends ist das Mißtrauen größer als in Wissenschaft und Forschung.
2
F ür das Mißtrauen in der Wissenschaft waren Manzoni und Losinski das beste Beispiel. Der listige Pole versuchte, wann immer er dazu Gelegenheit fand, den trägeren, aber gewiß nicht weniger gescheiten Italiener mit seinem Wissen zu provozieren oder vor den übrigen Jesuiten zu blamieren. Daß Manzoni der umgekehrte Fall noch nie gelungen war, obwohl er es schon viele Male versucht hatte, darunter litt der Profeß sehr. Manzoni, ein Kerl wie ein Kleiderschrank mit einem quadratischen Schädel und kurzgeschorenen grauen Haaren, bewegte sich nicht nur träger als Losinski, er dachte auch langsamer, was nach außen in einer für einen Italiener ungewöhnlich schleppenden Sprache und nervenden Pausen zwischen den einzelnen Sätzen zum Ausdruck kam.
Das Textbruchstück, das Losinski soeben vorgetragen hatte, war geeignet, eine neuerliche Grundsatzdiskussion anzufachen welche Bedeutung der Pergamentrolle zukommen könne; und auch dabei waren Manzoni und Losinski unterschiedlicher Ansicht. Auch wenn bisher gerade der zehnte Teil der gesamten Pergamentrolle – und der keineswegs in Abfolge, sondern mit großer Lückenhaftigkeit – übersetzt war, so konnte man aufgrund des Inhaltes, der das Auftreten und die Lehre Jesu zum Inhalt hatte, auf einen Evangelientext schließen.
Losinski faltete die Hände, aber er tat dies nicht in frommer Absicht, sondern um seinen
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