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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Jesus in sehr enger Verbindung gestanden haben.« Und bevor er an seinen Arbeitsplatz an der Stirnseite des Saales zurückkehrte, fügte er leise hinzu: »Gute Arbeit. Wirklich gute Arbeit.«
3
    L osinski puffte Kessler in die Seite und machte mit dem Kopf eine Bewegung auf den sich entfernenden Profeß hin. »Wenn das alles ist, was er darauf zu sagen hat«, raunte er dem Jungen zu.
    Kessler schüttelte den Kopf: »Er war nicht darauf vorbereitet. Ich glaube, ihm geht jetzt einfach zuviel durch den Sinn.« Er lachte: »Armer Manzoni!«
    Auch Losinski schmunzelte ein wenig; dann wurde er ernst: »Wir müssen damit rechnen, daß wir kaserniert werden. Es kommt darauf an, welche Bedeutung man unseren Erkenntnissen beimißt, aber es wäre nicht das erste Mal, daß die Kurie einen solchen Schritt verfügt. Das Konklave ist eine Erfindung der katholischen Kirche.«
    »Zur Papstwahl.«
    »Zur Papstwahl; ursprünglich, um die Kardinäle zu einer schnelleren Wahl zu zwingen. Inzwischen spielt ein anderer Gedanke eine wesentliche Rolle: die Geheimhaltung. Kein Christenmensch soll erfahren, wie der Papst gewählt wurde, wer für, wer gegen ihn war. Ich könnte mir vorstellen, daß die Aufgabe, mit der wir hier befaßt sind, für die Kurie bedeutsamer werden könnte als die Wahl eines neuen Papstes und daß sie bemüht ist, das alles geheimzuhalten.«
    »Wir stehen unter Ordenseid, Bruder in Christo!«
    »Ihr Glaube an den Ordenseid in Ehren, aber sehen Sie sich doch hier einmal um. Würden Sie einem jeden, dem Sie hier begegnen, trauen? Dem Holländer Veelfort, dem Querulanten aus Frankreich oder Ihrem Landsmann Röhrich? Ordenseid hin, Ordenseid her, einem Drittel unserer Mitbrüder würde ich nicht über den Weg trauen, wenn die Versuchung an sie herantritt.«
    »Versuchung?«
    Losinski hob die Schultern und drehte die Handflächen nach außen, als wollte er sagen: Wer weiß? Doch was er damit meinte, konnte Kessler sich nicht erklären. Jedenfalls empfand er seine Gedanken nicht gerade als tugendhaft.
    Mit gesenktem Blick trat der Pole näher an Kessler heran: »Wissen Sie, der Baum der Erkenntnis hat viele Neider, denn seit es Menschen gibt, streben diese nach Erkenntnis. Und weil Wissen eine Art Lust ist wie die Wollust des Fleisches, so ist Unkenntnis eine Art Schmerz; und da es nur wenige gibt, die sich an Schmerzen erfreuen, streben alle nach Erkenntnis, nach Wissen, und dieses Wissen und, in Verbindung damit, diese Macht wird auch von der Heiligen Mutter Kirche beansprucht. Oder würden Sie mir widersprechen, wenn ich behaupte, der Einfluß des Papstes auf seine Schäflein beruht in der Hauptsache auf seinem Wissensvorsprung gegenüber diesen?«
    »Bruder in Christo!« Kesslers Entrüstung war nicht gespielt. So ketzerische Worte aus dem Munde eines Ordensbruders hatte er nie gehört.
    Losinski machte eine Handbewegung zu der Inschrift an der Stirnseite des Saales hin, wo der Profeß über seinem Tisch gebeugt saß: »Der Wahlspruch unseres Ordensgründers Ignatius heißt Omnia ad maiorem Die gloriam, nicht Omnia ad maiorem ecclesiae gloriam. Wir stehen im Dienste des Allerhöchsten, nicht im Dienste der Kirche.«
    Zum wiederholten Male huschte dieses unverschämte Grinsen über sein Gesicht, dann fuhr er fort: »Daß Portugiesen, Franzosen, Spanier, Schweizer und zuletzt die Deutschen unseren Orden verboten haben, ist verwerflich genug, aber daß sich sogar ein Papst zu diesem Schritt hinreißen ließ, ist eine Schande für die Institution der Kirche. Warum tat er das? Die Geschichtsbücher wollen uns weismachen, unter dem Druck der Bourbonen; ach was, Clemens XIV. fürchtete unser Wissen. Insofern befinden wir uns in einer nicht sehr angenehmen Situation. Stellen Sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn sich unsere Annahme erhärtete, daß wir es mit fünf Evangelien zu tun haben, daß unsere vier Evangelien auf ein Ur-Evangelium zurückgehen.«
    »An die Folgen habe ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht gedacht«, erwiderte Kessler vorsichtig, »aber ich glaube, das hängt auch vom Inhalt und der Aussage ab, die in dem Pergament enthalten ist.«
    »Der Teufel stellt überall seinen Pferdefuß dazwischen.« Losinski blickte den jungen Ordensbruder prüfend an. Er schätzte ihn wegen seines schnellen Verstandes, der sich deutlich von der Trägheit Manzonis unterschied, aber er wußte nicht, ob er diesem Deutschen trauen konnte. Dazu kannte er ihn einfach zu wenig. Denn was kein Außenstehender ahnen konnte, war,

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