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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Süden, die allein von der Geschichte leben konnten, sogar vom Unrat, den diese irgendwo hinterlassen hatte. Armut schürt Mißtrauen, und die Leute von Katerini waren sehr mißtrauisch – untereinander, vor allem aber gegenüber Fremden, und eine alleinreisende Frau machte sich noch mehr verdächtig, so daß sie der Kiria tunlichst aus dem Wege gingen.
3
    N ur Georgios Spiliados, der fliegende Bäcker, dessen Geschäft auf drei Rädern durch die Gassen rollte (der rückwärtige Teil bestand aus einem alten Fahrrad samt Pedalantrieb, der vordere hingegen aus einer zweirädrigen Holzkiste, der Verpackung einer Waschmaschine, die der Elektriker des Ortes vor zehn Jahren in Katerini verkauft hatte und in die Georgios Glasfenster geschnitten hatte, damit jeder auf der Straße seine knusprig gelbbraunen Baklawa und Kataifi bewundern konnte), nur der Bäcker Spiliados begann mit Anne ein Gespräch, als sie ihm ein Gebäck abkaufte, das Georgios in ein braunes Papier wickelte, aus hygienischen Gründen. Dabei stellte sich heraus, daß Spiliados früher, es sei lange her, in Deutschland gearbeitet hatte und nun als Selbständiger sein Auskommen suchte. Im Ort kenne man zwar seinen griechischen Namen – und er zeigte auf den Namenszug an seinem Wagen –, aber für die meisten sei er immer ›der Deutsche‹ geblieben.
    Ob sie hier Urlaub mache, wollte Spiliados wissen, dann habe sie die falsche Jahreszeit gewählt – im April sei Katerini am schönsten, mild und von blühendem Duft. Anne verneinte lachend und erkundigte sich im Gegenzug, ob Georgios etwas über Leibethra wisse. Da trat der Bäcker heftig in die Pedale, um schnell zu verschwinden; aber noch ehe ihm das gelang, hatte ihn Anne am Ärmel gepackt und hielt ihn zurück.
    Ihre Frage, warum er sich aus dem Staub machen wolle, beantwortete Georgios Spiliados mit einer Gegenfrage: Ob sie dazugehöre zu denen – so drückte er sich aus. Erst als Anne beteuerte, nein, um Himmels willen, sie interessiere sich aus anderen Gründen für die Leute, blieb er stehen.
    Georgios Spiliados, ansonsten ein Schlitzohr im Umgang mit Menschen, wischte sich mit der Hand die Stirn und sprach nur noch leise. Falls sie eine Journalistin sei, wolle er sie daran erinnern, daß ein Reporter vom ›Daily Telegraph‹, der sich zwei Wochen in der Gegend herumgetrieben und Informationen über die Leute von Leibethra gesammelt habe – er habe sogar dafür Geld bezahlt –, eines Tages mit eingeschlagenem Schädel gefunden worden sei. Offiziell habe es geheißen, er sei auf dem Olymp von einem Felsen gestürzt, aber Joannis, der ihn gefunden habe und ein Freund von ihm sei, habe beteuert, an der Fundstelle habe es weit und breit keinen Felsen gegeben. Es sei wohl das beste, wenn sie umgehend abreise.
    Für Anne war Georgios Spiliados der einzige Mann, der ihr helfen konnte. Deshalb steckte sie dem Bäcker einen Schein zu, den dieser zunächst empört zurückwies. Es dauerte jedoch nicht lange, bis seine Empörung verflachte, und Georgios schob das Geld in den Innenrand seiner schwarzen Mütze. Anne beschwor Spiliados, mit niemandem über ihr Interesse an Leibethra zu reden. Georgios versprach es.
    Für den Nachmittag verabredeten sich beide in seinem Laden zwei Straßen weiter. Falls er sich verspäte, werde er Vanna, seiner Frau, Bescheid geben. Es fiele auf, wenn sie sich hier in aller Öffentlichkeit länger unterhielten.
    Als Anne später den Laden betrat, steckte Vanna den Kopf durch eine Art Vorhang aus bunten Plastikstreifen an der Rückseite des gefliesten Lädchens. Der Verkaufsraum bestand nur aus einem schmalen, länglichen Tisch und einem rohgezimmerten Holzregal an der Wand, in dem nur noch ein paar Fladenbrote zum Verkauf standen. Mit ihrem dunklen Bart auf der Oberlippe und dem faltigen Gesicht hätte man Vanna eher für Georgios' Mutter halten können.
    Der rückwärtige Raum, in den sie die Fremde bat, war nicht weniger karg ausgestattet: in der Mitte ein quadratischer, blanker Holztisch mit vier Stühlen, ein hoher Schrank ohne Türen mit buntem Geschirr, daneben ein weißes Waschbecken, gegenüber ein Bord, von breiten Eisenwinkeln an der Wand gehalten. Vanna brachte Raki und sagte »bitte«, das einzige deutsche Wort, das sie konnte.
    Kurz darauf erschien Georgios. Anne versuchte dem Mann zu erklären, warum sie nach Katerini gekommen war. Sie erzählte von Guidos mysteriösem Unfall und den bisherigen Nachforschungen, die sie hierher geführt hätten, und erntete

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