Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
zu zeigen. Damit besaß er eindeutig mehr emotionale Kompetenz, als mir je beigebracht worden war. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet emotionale Analphabeten wie mein Vater täglich über Menschen wie Bodo Urteile fällen durften.
Bodo bewirtschaftete den letzten Kleingarten in der hinteren Reihe. Das Gelände war von einem hohen Metallmaschendraht umgeben. Der alte Baumbestand der Parzelle war irgendwann jeder Kontrolle entwachsen. Jetzt benötigte man einen Kran, um die Kronen zu stutzen. Buschige Thujastämme verhinderten die Einsicht. Die Brombeerhecken und Obstbäume waren, seit die Zechenarbeiter aufgehört hatten, sie zur Selbstversorgung zu nutzen, durch keine Astschere mehr behelligt worden.
»Haste Angst, dass einer bei dir einsteigt?« Danner deutete auf den Zaun.
Bodo hielt uns das Tor auf. »Hier gibt’s nix zu klauen. Den Zaun brauche ich wegen der Viecher. Die hauen sonst ab.«
»Giraffen?«, riet Danner mit einem Blick auf die Zaunhöhe.
»Schafe. Die Sorte kann angeblich springen.«
Springen? Fliegen traf es wohl eher. Der Zaun war selbst für ein Pferd unüberwindbar. Bodo führte uns durchs Gebüsch bis zu einem mit Wein bewachsenen Backsteinhäuschen. Zwischen zwei Zwetschgenbäumen baumelte eine Hängematte, Sofakissen auf Getränkekisten dienten als Sitzgelegenheiten neben einem verkrusteten Fünf-Euro-Grill aus dem Baumarkt.
Neben dem Grill stand ein Reh. Na ja, ein etwa rehgroßes, rehbraunes Tier mit langen Ohren. Auf den zweiten Blick erschien es mir reichlich hässlich.
Bodo schnalzte mit der Zunge.
»Zisch ab«, verscheuchte er das Vieh. Unelegant trippelte es davon.
»Ein Kamerunschaf«, brummte Bodo und reichte Danner eine Pulle Bier. »Gehört Sergej. Eine sehr genügsame Sorte. Merkt kein Schwein, dass die hier rumlaufen.«
Damit wären wohl die ›Tiermörder‹, von denen die Lamafrau gesprochen hatte, identifiziert. Denn, dass Sergej die Viecher aus reiner Tierliebe hielt, konnte ich mir beim Gedanken an den Tarnwestenträger kaum vorstellen. Und auch die Herkunft des Schafs in Alwin Kopelskis Kühltruhe konnten wir vermutlich als geklärt betrachten.
In Post-Bergbau-Zeiten verliehen Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse dem traditionellen Selbstversorgungsgedanken der Kleingärten neue Bedeutung.
Klick.
Nahaufnahme. Die Elfe im Porträt. Ihr Kopf auf schneeweiße Kissen gebettet. Ihre Lider schimmern. Die Haut ist blass, kühl, nicht glatt, aber samtweich. Die Augen offen. Dieses Dunkelblau, in dem alles versinkt.
Wie wunderbar, ihr so nah sein zu können.
Oft wird gesagt: Sie war mal eine schöne Frau. Wahrscheinlich hat sie den Satz auch schon gehört.
Unsinn. Sie wird noch immer schöner.
Mit jedem Foto.
26.
Ein Auto rumpelte den Schleichweg hinter den Gärten entlang. Mittlerweile dämmerte es, deshalb konnte ich die Scheinwerfer durch das Gebüsch näher kommen sehen.
Es war kühl geworden, doch der Sekt, den Bodo aus seiner Gartenlaube gekramt hatte, wärmte mich von innen. Ich stand auf und registrierte einen Anflug von Schwindel.
Danner und Bodo schienen den näher kommenden Wagen nicht zu bemerken, was vermutlich an der Wodkaflasche lag, die Bodo hervorgeholt hatte, als die Kiste Bier zur Neige ging.
Wer schlich sich denn abends noch in die Schrebergärten?
Eine Autotür wurde behutsam ins Schloss gedrückt. Der Wagen hatte hinter dem Garten von Kröte und Sergej gehalten.
Ich stand auf.
»Ey, Lila! Warte, ich muss auch mal pinkeln!« Bodo erhob sich schwankend. Im nächsten Moment plumpste er verdutzt zurück auf seine Getränkekiste. Danner hatte ihn mit einem Ruck am Arm aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Du hältst es noch aus, bis sie wieder da ist«, erklärte er Bodo bestimmt.
Ich schlug mich ins Dickicht. Bis zum Zaun des Nachbargrundstücks konnte es nicht weit sein. Ich duckte mich unter den bis zum Boden hängenden Zweigen eines Apfelbaumes hindurch und stand vor drei Meter hohen Thujapflanzen. Die baumdicken Stämme verhinderten jede Einsicht ins Nachbargrundstück.
Hinter der Hecke war ein dumpfer Laut zu hören. Ein leises, gleichmäßiges Quietschen folgte. Jemand schnaufte.
Kurz entschlossen drückte ich das glücklicherweise weiche, nadelartige Grün der Zweige auseinander. Tatsächlich gelang es mir, mich zwischen die Pflanzen zu schieben und in den Garten von Kröte und Sergej hinüberzuspähen.
Direkt hinter dem Zaun begann eine Teichlandschaft, hier und da sah ich die Wasseroberfläche im Licht
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