Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
her!«
Und schon verschwand der Puschenträger im Haus. Im gleichen Moment stürzte ein stämmiger Mann in den Vorgarten. In Biolatschen stolperte er über den Rasen, während er noch sein Hemd in die Jeans stopfte. Seine im Laternenlicht spiegelnde Glatze umschloss ein blonder Haarkranz und auch er bewegte sich mit dem wackelnden Gang, den überbreite Hüften in Kombination mit X-Beinen hervorriefen. Die Verwandtschaft der Männer war offensichtlich.
»Verdammt!«, fluchte Hansis Bruder. »Du kannst da nicht einfach so reingehen!«
Beim Schritt über den niedrigen Zaun blieb sein Biolatschen hängen. Er stolperte, entschloss sich aber, die fehlende Sandale zu ignorieren und humpelte mit einem Schuh durch die Blumenbeete.
Als er die Haustür erreichte, dröhnte ein markerschütterndes Brüllen durch den Flur und ließ den ganzen Wohnblock erzittern.
Klick.
Nahaufnahme. Das gebannte Gesicht wird nur vom Bildschirm beleuchtet. Fotografiert zwischen den federigen, fünf-fingerigen Blättern der Grünpflanzen hindurch.
Bilder von Menschen, die nicht wissen, dass sie fotografiert werden, sind von beeindruckender Intimität. Vor allem in der eigenen Wohnung. Sie fühlen sich unbeobachtet. In ihrem Schutzraum.
Doch ab und zu lässt sogar der Vorsichtigste die Vorhänge offen. Und bemerkt nicht, dass jemand zuschaut. Direkt vor dem Fenster. Nur Zentimeter entfernt.
35.
Hansi stand breitbeinig in einem Wohnzimmer, das viel zu klein für ihn wirkte. Er brüllte noch immer. Zwischendurch sog er pfeifend Luft ein, nur um gleich wieder aus vollen Lungen schreien zu können. Fast unmenschliche Laute, die an ein verwundetes, ziemlich großes Tier erinnerten.
Der behinderte Mann hatte genau begriffen, was er sah.
Sein Kopf stieß an die Bommeln der Deckenlampe – ein altertümliches Modell mit bräunlichem Stoffbezug, das ein mattes Licht erzeugte. Unzählige Bücherregale verengten den Raum. Hansis rechtes Bein stieß an die Kante des Couchtisches, die linke Wade an ein braunes Sofa mit Blumenmuster.
Vor ihm auf dem Boden, zwischen Tisch und Sofa, lag der kleine, dünne Pudelbesitzer. Auf dem Bauch. Unter den blonden Locken an seinem zur Seite gekippten Hinterkopf klaffte ein blutiges Loch. Ein Einschuss. Ausgetreten war die Kugel im Gesicht. Dort hatte das Projektil deutlich mehr Schaden verursacht. Die Nase und das linke Auge fehlten. Blut und Schädelinhalt waren auf den Couchtisch gespritzt, bevor der Pudelbesitzer umgefallen war. Teppich und Pullunder waren durchtränkt.
Danner kletterte über das Sofa an dem brüllenden Hansi vorbei, um sich zu dem Toten zu bücken.
Hier war ein Mord passiert, daran bestand kein Zweifel. Denn der Schuss hatte das Opfer von hinten getroffen. Damit konnte man einen Selbstmord wohl ausschließen.
Ich wunderte mich, dass mir nicht übel wurde. Mein Herz pochte schneller als sonst, ein flaues Gefühl breitete sich aus der Magengegend bis in Arme und Beine aus und ließ meine Knie zittern. Doch sonst hatte ich mich im Griff.
Im Gegensatz zu Hansis Bruder. Der war hinter mir aufgetaucht. Als er kapiert hatte, was passiert war, begann er ebenfalls zu brüllen.
»Seien Sie still!«, fuhr ich ihn an. »Helfen Sie mir lieber, Ihren Bruder rauszubringen.«
Ich griff den behinderten Mann vorsichtig am Arm. Der stemmte sich, unaufhörlich weiterschreiend, gegen meinen Griff.
So klappte es nicht.
Suchend sah ich mich nach irgendetwas um, dass mir helfen konnte, den aufgelösten Mann hinauszubewegen. Mein Blick fiel auf einen blonden Schwanz unter dem Couchüberwurf. Ich packte den zitternden Hund im Nacken und drückte Hansi das zappelnde Fellbündel vor die massige Brust.
»Können Sie sich vielleicht um Trixi kümmern, Hansi? Die Arme ist völlig verstört.«
Hansi schloss den Mund und nickte. Er presste das zitternde Tier in das warme Flanell seines Pyjamas.
»Gut, dass Sie Hilfe gerufen haben«, redete ich auf Hansi ein, während ich ihn zur Tür schob. »Achtung, nicht auf das Bein treten.«
Danner sah mir nach, während er per Handy mit Polizei oder Notarzt sprach.
Gemeinsam mit Hansis Bruder bugsierte ich den Verwirrten durch den vollgestellten Flur in den Vorgarten und setzte ihn auf die Marmorstufe vor dem Eingang. Das Riesenbaby sackte in sich zusammen und streichelte den Hund.
Ich kehrte in die Wohnung zurück.
Danner hockte neben der Leiche auf dem Teppich. Er sah zu mir auf.
Üblicherweise war das der Moment, in dem er mich hinausscheuchte, um mir zu ersparen,
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