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Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)

Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Arbeitshose. Betroffen sah er auf die Ansammlung verlöschter Teelichter neben seinen schweren Stiefeln hinab. Seine Grubenlampe lag zwischen den Kerzen.
    Es herrschte Stille. Die Dämmerung spendete erstes Tageslicht. Die aus dem Dunst aufragenden Grabsteine verliehen dem Friedhof den Flair einer Filmkulisse. Das Gras war nass vom Tau. Der trauernde Bergmann, zu dem Silvia Fromm mich geführt hatte, stand in der Mitte eines langen Rasenstreifens. Im Laufe der Jahrzehnte war die Bronze oxidiert und hatte die typische grünliche Färbung der Verwitterung angenommen.
    »Das Denkmal erinnert an das Grubenunglück am 8.   August 1912. Dabei kamen in der Zeche Lothringen über hundert Bergleute ums Leben. Ihre Namen stehen auf den Gedenktafeln.«
    Silvia Fromm deutete auf zwei große Steinplatten, die in einiger Entfernung rechts und links vom Bronze-Bergmann auf den Rasen gelegt worden waren.
    »Grubengase entstehen immer in den Schächten, weil Kohle ja ein organischer Stoff ist. Pflanzenreste, die durch den Druck des Gesteins verfestigt wurden. Durch den andauernden Verwesungsprozess bildet sich entzündliches Gas. Die Konzentration dieser Gase in der Luft bezeichnet man als ›Wetter‹. Früher waren Explosionen eine ständige Gefahr. Lampen, Funkenschlag und Sprengungen konnten unbemerkte Grubengase jederzeit entzünden.«
    Silvia Fromm führte mich weiter, den Friedhofsweg entlang zwischen frisch bepflanzten Gräbern hindurch.
    »1912 sollen angeblich unsachgemäße Schießarbeiten, also Sprengungen, das Unglück ausgelöst haben.«
    Meine Begleiterin blieb vor einem Familiengrab stehen. Gleich der oberste, in Sandstein gemeißelte Name war mir bekannt: Archibald Schröder war am 16.   August 1912 verstorben. Der Name seiner Frau Mathilda war erst 1970 ergänzt worden.
    »Der Großvater?«, schlussfolgerte ich, denn darunter las ich die Namen Archibald und Inge . Inge Schröder war im letzten Jahr zu Tode gekommen und musste deshalb die Mutter des Pudelfreundes gewesen sein.
    Silvia Fromm nickte schnaufend. »Archibalds Großvater war Sprengmeister. Er war eigentlich für die Schießarbeiten im Unglücksbereich verantwortlich. Doch am Tag des Unglücks lag seine Frau in den Wehen und er ist nicht zur Schicht erschienen. Irgendjemand anderes hat an dem Tag gesprengt.«
    Mein Blick wanderte auf das Todesdatum auf dem Grabstein.
    »Eine Woche später hat er sich aufgehängt, kurz nach der Geburt seines zweiten Sohnes.«
    Uff.
    »Seine Frau, Archibalds Großmutter, hat er mit den beiden kleinen Kindern zurückgelassen. Leicht war das nicht für sie, sie war gerade Anfang zwanzig, Witwe und wurde von den Menschen gehasst. Auch meine Eltern haben mir damals verboten, mit den Schröders zu sprechen. Archibalds Vater war der ältere Sohn. Er hat erst mit fast fünfzig geheiratet, wohl auch, weil die Geschichte erst dann in Vergessenheit geriet.«
    Ich begriff, was Silvia Fromm mir zu erklären versuchte. Die Schröders waren seit hundert Jahren an das Alleinsein gewöhnt gewesen.
    »Heute kennt kaum noch jemand die genauen Umstände des Unglücks. Ich glaube auch nicht, dass die Schröderin dem kleinen Archibald je davon erzählt hat«, fuhr die Fromm fort.
    Trotzdem war Archibald Schröder ein Außenseiter geworden. Hatte anscheinend nie eine Frau kennenlernen können. Und angefangen, Frauen zu beobachten, ihnen aufzulauern und sie heimlich zu fotografieren.
    Jetzt würde sein Name unter dem seiner Eltern in den Sandstein gemeißelt werden.
    Hatte Archibald Schröder sein Leben lang mit einem Makel kämpfen müssen, von dessen Existenz er nicht einmal gewusst hatte?
    Ich fröstelte und zerrte die Ärmel meines Pullis über meine Hände.

38.
    Dagegen wurde mir heiß vor Wut, als die Fotos, die ich von der Pinnwand des toten Pudelfreundes gemacht hatte, auf dem Bildschirm unseres Computers aufpoppten. Ich wuchtete einige Aktenordner, die mich störten, auf den Fußboden, und hockte mich auf den Bürostuhl. Danner stützte neben mir die Arme auf den Schreibtisch.
    »Was für eine miese Ratte!«, zischte ich.
    Als ich mit Silvia Fromm vom Friedhof zurückgekehrt war, hatte die Polizei den Ort des Verbrechens weiträumig abgesperrt und Danner als Zeugen vernommen. Nachdem auch ich ein paar Fragen beantwortet hatte, hatte Staschek uns nach Hause geschickt. Klara, die Schlampe, hatte dem Kriminalkommissar gedroht, ihn auf ein Kuhdorf in Ostwestfalen-Lippe zu versetzen, falls Informationen über den Fall zu uns durchsickern

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