Das Fünfte Geheimnis
die historische Entwicklung überblicken konnten, daß wir alle Versuche zur Lösung des Problems kannten, vom Widerstand bis zum Rückzug und zum passiven Erdulden. Wir wissen, daß keine dieser Lösungen funktioniert. Wir konnten und wollten unsere Kräfte nicht auf Waffenfabrikation und das Drillen von Truppen vergeuden. Wir beschlossen vielmehr, direkt ins Herz der Dinge vorzustoßen, und das heißt: Magie.«
»In welcher Hinsicht?« fragte Madrone.
Lily nickte Madrone zu. »Du weißt, daß die Göttin Fortuna eine launische Göttin ist? Magie ist die Kunst, das Bewußtsein willentlich zu steuern. Man kann Krieg als Anhäufung von Waffen, Material und Truppen betrachten. Du kannst Krieg aber auch ganz anders ansehen. Nämlich als feingesponnenes Netz verschiedener Willenskräfte, von Menschen gemacht. Da ist einerseits die Entscheidung für einen Angriff. Andere entscheiden sich dafür, zu gehorchen oder auch, nicht zu gehorchen, eine Waffe abzufeuern oder nicht. Armeen und Waffen, und jede Kultur, die diese benützt, muß die Menschen überzeugen, daß die Entscheidungen für diesen oder jenen Befehl richtig sind, daß es keine andere Wahl gibt. Doch genau das ist falsch. So verrückt es sich auch anhört, das Bewußtsein der Menschen ist die Basis zur Verteidigung unserer City.«
»Ich verstehe gar nichts«, gab Bird zurück. Er setzte seine Tasse ab, blickte auf die Frau vor ihm und fragte sich insgeheim, ob sie wirklich weise war oder einfach nur ein bißchen verrückt.
»Paß auf, Waffen haben immer auch etwas Geheimnisvolles, Magisches. Nicht wahr? Es ist die Stärke, das Sicherheitsgefühl, das sie verbreiten, die Möglichkeit ein elektronisches Sicherheitssystem neutralisieren zu können, verleiht ein neues Bewußtsein. Kraft und Stärke, also Magie, ist es aber auch, wenn du mit Gewehren bewaffnete Menschen dazu bringst, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun wollen.«
»Das ist richtig«, gab Bird zu.
»Du denkst dann, du bist ein Zauberer.«
»Aber nicht lange.«
»Nun überlege dir, um wieviel größer wäre die Magie, wenn diese Männer durch deine Willensstärke sogar dazu gebracht würden, die Waffen niederzulegen.«
»Es wäre mehr Magie als ich mir vorstellen könnte, um überhaupt mit diesen Männern zu sprechen«, sagte Bird zweifelnd, »aber ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir besser die Finger davon lassen. Dann würden Cleis, Tom und Zorah möglicherweise noch leben. Ich weiß nicht, ob die Manipulation des gegnerischen Bewußtseins eine ethische Verbesserung ist oder ganz einfach auch Gewalt.«
»Ich spreche nicht von Manipulation. Ich spreche von Visionen, von einer neuen Ausweitung aller Möglichkeiten des Bewußtseins.«
»Es würde mir schon ein neues Bewußtsein verleihen, wenn ich glauben könnte, daß man das Bewußtsein dieser Kerle überhaupt verändern könnte.«
»Bewußtsein ist die am schwersten veränderbare Substanz im Kosmos, und gleichzeitig die am meisten veränderliche. Bewußtsein kann in dem einen Fall bis zur Sturheit gehen und sich im anderen in Sekundenschnelle verändern. Ein Lied kann dein Bewußtsein verändern, eine Geschichte, ja schon der Geruch des Windes.«
»Willst du damit sagen, wenn ich den Kerlen nur das richtige Lied vorgesungen oder die richtigen Zaubersprüche gesagt hätte, es hätte sie verändert?«
»Warum nicht? Du sollst ein sehr guter Musiker sein.«
»Das war einmal, jetzt nicht mehr.«
»Dann hast du das Geschenk zurückgewiesen, das deine ureigenste Waffe sein sollte. Es enttäuscht mich, das zu hören.«
»Ich habe es nicht zurückgewiesen. Es wurde mir genommen.«
»Soetwas kann man niemandem nehmen.«
»Es kann aber zerstört werden.«
»Wenn du so spricht, hast du wirklich nicht gelernt, damit umzugehen. Versuch' es nur. Vielleicht ist deine Musik eine viel stärkere Waffe als alle Gewehre oder Bomben.«
»Es klingt mir nicht sehr wahrscheinlich, Lily«, sagte Bird, »tut mir leid, das zu sagen. Aber ich war da unten in den Southlands, und du nicht.«
»Bird, mein Kind, wie deine Großmutter gehören wir Neun Weisen Frauen zu einem anderen Zeitalter. Wir alle standen Auge in Auge mit den Gewehrläufen der größten und mächtigsten Kriegsmaschinerie der Welt. Die Stewards sind da nur ein schwacher Abglanz, ein letzter Rest davon. Wir sind nicht so naiv, Waffen und Bomben falsch einzustufen. Im Gegenteil.«
»Aber ich habe dich gefragt, was praktisch machbar ist? Wäre es machbar, würde es sich lohnen,
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