Das Fünfte Geheimnis
die Berührung von Felsen, Feuer und Baumwurzeln auf ihrer Haut. Sie wollte sich öffnen, um noch tiefer berührt zu werden.
Niemand sprach ein Wort, aber sie dachten, sie fühlten alle das gleiche. Über diese Dinge brauchten sie nicht miteinander zu sprechen. Sie liebte beide und sie wollte von ihnen berührt werden, wie von der Nachtluft. Der Mond erhob sich aus dem Wasser und überschüttete ihre Haut mit seinem Silber.
Kapitel 10
Auf dem Gipfel eines Hügels, der in der Seemitte lag und dieser See lag mitten im Wald, und zu dem See kam man nur über einen spiralförmigen Pfad, der sich den Hügel hinaufwand, saßen neun alte Frauen und wachten mit ihrer Magie über die City«, sagte Maya, und sie keuchte ein bißchen, während sie bergauf ging. »Hört sich wie eine Geschichte an, oder ?« »Aber warum sitzen sie ausgerechnet da oben?« fragte Madrone.
»Sie wollten eigentlich mitten im Zentrum der City sitzen«, fuhr Maya im gleichen Tonfall wie vorher fort. »Aber wie durch Zauberei fanden sie sich plötzlich auf dieser Lichtung sitzend. Sie wünschten sich Zurückgezogenheit, um besser Lauschen und Träumen zu können, aber keine Isolation.«
»Ich glaube, sie haben sich auch einen Lift gewünscht«, spöttelte Madrone. Sie joggten gerade zusammen und nun fühlte sie sich etwas kurzatmig und das machte sie reizbar. Wirklich, eigentlich sollte sie sich inzwischen genügend erholt haben, und wenigstens mit Maya Schritt halten können. Vielleicht sollte sie demnächst mehr Übungen für sich allein machen. Etwas joggen, oder tanzen. Bird lief hinter ihr, sie merkte genau, daß er sein Keuchen zu verbergen suchte.
»Ach was, die alten Frauen sind Puristen, und die Geschichte hört sich so besser an«, erzählte Maya weiter. »Es war einmal an einem frühen Morgen, laßt mal sehen, welches Verb nun am besten paßt, krochen, kletterten, taumelten? Also, drei Pilger taumelten...«
»Ja, einer war lahm, der zweite blind, der dritte taubstumm...«, warf Madrone ein.
»Ich bin nicht lahm«, protestierte Bird. Es lag etwas in seiner Stimme. Die beiden Frauen blieben stehen und warteten auf ihn. Er wirkte ärgerlich, mühsam verbarg er seine Schmerzen.
»Okay«, sagte Madrone freundlich, »du kannst hier stehen bleiben, bis du dich besser fühlst.«
»Gute Idee«, stimmte Maya zu, »laßt uns einen Augenblick verschnaufen.«
Sie standen und keuchten. Weit schweifte der Blick zwischen den Zweigen der Bäume über die blau glitzernde See. Bird ließ sich schwer zu Boden fallen. Madrone kniete hinter ihm nieder. Mit geübter Hand begann sie, seine Muskeln zu massieren. Sie spürte genau den Knoten, der seiner Wirbelsäule Streß bereitete und der Bird zum Anhalten gezwungen hatte.
»Aua!« protestierte er, »mierda, du bringst mich ja um.«
»Still! Das ist gut für dich, was ich tue.«
»Es ist alles wieder okay, Madrone, hör auf!«
»Nichts ist okay, du bleibst sitzen!«
»Ich bin okay, ich fühle mich wieder okay!«
»Du bist keinesfalls okay«, sagte Madrone sachlich, »was hat Sam denn gesagt?«
Bird antwortete nur mit einer Grimasse.
»Also?«
»Er will mich auseinandernehmen und auf seine Weise wieder zusammensetzen. Mir die Knochen brechen, sie neu verteilen lassen und meine Hüfte wieder einrenken.«
»Sam übertreibt zwar manchmal, aber nur mit dem Mundwerk. Was seinen Job als Mediziner betrifft, ist er eher zurückhaltend. Wenn er eine Operation vorschlägt, dann ist sie vermutlich wirklich nötig«, sagte Madrone.
»Ich werde darüber nachdenken«, gab Bird zurück. Er sagte es in einem Ton, aus dem Madrone genau heraushörte, daß er keinesfalls darüber nachdenken würde.
Sie wechselte einen Blick mit Maya. »Laß mich mal deine Hüfte massieren« sagte sie freundlich, »dreh dich mal auf den Bauch.«
»Himmel nochmal!«, schrie Bird so aufgebracht, daß beide Frauen erschrocken zurückwichen. Madrone schossen Tränen in die Augen.
In Birds Gesicht arbeitete es, seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit, aber er konnte sich einfach nicht genau erinnern. Da waren graue Wände gewesen und Metallstangen. Aber weiter kam er nicht. Nein, nicht hier auf diesem Hügel und unter den Blicken dieser beiden Frauen. Wie sie ihn jetzt ansahen. Himmel und Hölle. Er schwitzte, und Madrone war nahe daran wirklich zu weinen. »Scheiße! Liebes, verzeiht mir«, plötzlich wich der Zorn von Bird. Er legte seine Arme um die beiden Frauen. »Aber diese Erinnerungen...«
»Schlimme
Weitere Kostenlose Bücher