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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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Freunden teilten. Die Polizei kam hinter ihnen her, schoß die Wohnung zusammen, brannte sie nieder und unsere Freunde starben in den Flammen.«
    »Wie entsetzlich«, sagte Nita.
    »Rio war nicht in der Wohnung. Er lag in seinem Lieferwagen, stockbesoffen. Die Polizei fand ihn am nächsten Morgen. Sie verhafteten ihn und brachten ihn ins Gefängnis, wo er die nächsten dreizehn Jahre verbrachte.« Rios Arm lag schwer auf ihrer Schulter; er war fast greifbar. Es ist wirklich Halloween, dachte Maya.
    »Das war der Preis, den er zahlte. Ich änderte meinen Namen und flüchtete, nach New York und dann nach Mexiko. Ich habe Rio erst in den späten Achtzigern wiedergesehen, als alles sich verändert hatte. Nicht zuletzt auch wir beide. Aber das ist eine andere Geschichte.«
    »Und die Moral?« fragte Holybear.
    »Daß die Ziele nicht die Mittel rechtfertigen«, sagte Maya, »das ist es, was ich aus Vietnam gelernt habe, aus dem Krieg und dem Protest dagegen. Die Mittel formen die Ziele. Du wirst, was du tust.«
    »Es ist fast Mitternacht«, sagte Sage.
    »Sollen wir für unsere Zeremonie nach oben gehen?«
    Sie zündeten die Kerzen im Ritualraum oben im Haus an, schlugen den Schutzkreis und riefen die Große Schnitterin an. Maya führte sie tief in die Trance, zu den Stränden eines dunklen Ozeans. Ein Schiff wartete, um sie hinüberzutragen zu der Insel, dem Platz in der Welt der Geister, wo die Toten und die Ungeborenen in dem Garten der Göttin wandelten, zwischen früchtetragenden Bäumen.

    ✳✳✳

    Maya starrte in das Zentrum eines dunklen Kessels. Spiralförmig wirbelten Galaxien in einem nachtschwarzen Himmel. Die sich drehenden Sterne waren die Seelen der Toten, der Ungeborenen. Sie beherbergten Schicksale, alle Möglichkeiten. Sie sah in ihrem Herzen einen Stern auf sich zufliegen, er wurde immer größer und glühendweiß bis er platzte und Johanna neben ihr stand.
    »Sie muß gehen«, sagte Johanna, »das Mädchen muß gehen.«
    »Wohin gehen?« fragte Maya.
    »In den Süden. Wohin sonst?«
    »Nein.«
    »Wie kannst du nein sagen? Sie wird dort gebraucht.«
    »Ich halte das nicht aus. Ich habe genug verloren.«
    Johanna schnaubte wütend. »Es ist ihr Weg, den sie gehen muß. Du kannst ihn nicht blockieren, und du kannst ihn auch nicht für sie ebnen.«
    »Ich will es aber nicht«, sagte Maya.
    »Du wirst brav' sein, Freundin. Du schuldest mir etwas.«
    »Was schulde ich dir?«
    »Einen Gefallen.«
    »Wofür?«
    »Für all' die Jahre, die ich es mit dir aushielt.«
    »Du hattest Glück. Was möchtest du?«
    »Laß' sie gehen. Laß' es leicht sein.«
    »Du weißt, daß ich das tun werde – letztlich.«
    »Tu es am Anfang. Sie braucht deine Hilfe, nicht deine Ängste.«

    ✳✳✳

    Bird wartete. Er dachte nach, er saß auf einem Baumstamm, unter einem blühenden Baum, im sanften grünlichen Zwielicht. Er fragte sich, wer zu ihm kommen würde. Seine Mutter? Sein Vater oder sein Bruder? Cleis, oder Zorah oder Tom? Oder er selbst, vielleicht, der Bird, der Ski fuhr und rannte, und dessen flinke Finger das Instrument für große Musik waren. Was würde dieser Bird ihm heute zu sagen haben?
    In der Stille kam ein alter Mann näher. Es war Rio. Er sah alt aus, aber kräftig, sein weißes Haar struppig und sein Bart voll. Er sieht aber nicht aus wie der Weihnachtsmann, dachte Bird. Da war nichts Vergnügtes an Rio. »Wie war es für dich, all diese Jahre im Gefängnis?« fragte Bird.
    Rio setzte sich auf einen Erdhügel und fixierte mit den Augen einen hohen Ast. »Ich war entsetzlich allein. Maya schrieb mir nie. Meine Familie wollte nichts mit mir zu tun haben. Und ich verachtete mich.«
    »Warum?« fragte Bird, »wegen der Frau, die starb?«
    »Weil ich alle meine Fehler zurückführen konnte auf meine eigenen Schwächen. Das Trinken und die Drogen waren ein Teil davon, aber im Kern war so etwas wie Feigheit, ein Weggleiten vor dem Leid. Ich hatte all dem in mir zu begegnen, und es war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Aber ich hatte Glück.«
    »Wie?«
    »Ich war in der Strafzelle, einmal. Für eine lange Zeit. Viel zu lange. Alle Fenster waren verdunkelt und die Tür aus solidem Stahl. Es gab kein Licht. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich wünschte so sehr, dort herauszukommen, daß ich zitterte, vor Angst und vor Wut. Aber es gab keinen Ausweg. Gleich, dachte ich, werde ich zu schreien beginnen und nie wieder aufhören. Ich versuchte, mich durch Erinnerungen zu beruhigen. Etwa an Mayas

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