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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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gerechtfertigt. Verglichen mit der Gewalt, die in unserem Namen den Vietnamesen angetan wurde, verglichen mit der Gewalt der Polizei gegen uns. Was machte es da schon, wenn ein Polizeiauto ab und zu demoliert wurde oder die Bank of America brannte. BRINGT DEN KRIEG NACH HAUSE! Das war unser Slogan.«
    »Das ist verständlich«, sagte Bird.
    »Natürlich«, gab Maya zu, »dennoch, es war ein Versagen der Vorstellungskraft. Das ist es, was ich bedaure – was wir hätten erreichen können, wenn wir unsere Visionen nicht hätten begrenzen lassen. Und ich wußte es bereits zu dem Zeitpunkt, aber ich wußte nicht, wie ich darüber sprechen konnte. Ich kannte es von einem der großen Tumulte in Berkeley. Ich weiß nicht einmal, welches Thema gerade dran war, Kambodscha oder People's Park oder was sonst. Aber sie hatten die National Guard eingesetzt und Truppen waren zu beiden Seiten der Telegraph Avenue, und Barrikaden und über unseren Köpfen dröhnten Hubschrauber. Sie setzten Tränengas ein, und die Menge schrie und lief wild in Panik und voller Wut herum. Meine Augen brannten, und während ich rannte und ein Polizist hinter mir herlief, hörte ich dieses laute, scharfe Geräusch. Sie feuerten in die Menge. Ich dachte, ich müßte sterben. Plötzlich wurde ich sehr ruhig. Ich wollte nicht mehr weglaufen, also wurde ich langsamer und der Polizist rannte an mir vorbei und verfolgte jemand anderen. Wenn ich sterben sollte, würde ich es mit Würde tun, bewußt, und so begann ich sehr langsam die Straße wieder hinaufzugehen, den Schüssen entgegen. Alle anderen liefen weg. Um mich herum gab es nur Panik und Bewegung, aber ich war die Ruhe im Zentrum. Ich ging geradewegs auf einen der Soldaten zu, die auf uns feuerten und sah ihn nur an, sah in seine Augen. Ich wollte sehen, wer es war, der mich töten würde.«
    Maya sah sich im Kreis um. Aber keiner rührte sich. »Er war jung, ungefähr in meinem Alter. Seine Augen waren braun, wie meine, und ich sah, daß er Angst hatte, so wie ich auch Angst hatte. Wir waren beide gleich. Plötzlich wußte ich das, und er wußte es auch. Ich konnte es in seinem Gesicht erkennen. Seine Hände zitterten, und er nahm das Gewehr herunter. Da wußte ich, was wirklich einen Krieg beenden könnte.«
    Sie schloß ihre Augen. Für einen Moment fühlte sie Rio an ihrer Seite sitzen, seine große Hand lag auf ihrer Schulter.
    »Ich wünschte, daß ich es dir hätte erzählen können«, sagte sie zu Rio. »Um all diese Rhetorik zu durchbrechen, die aus uns heraussprühte und es dich verstehen lassen. Aber stattdessen ging ich nur mit dir mit, bis es alles zu seltsam wurde und ich gehen mußte. Vergibst du mir?«
    »Madrina«, sagte Madrone sanft. »Sprich' zu den Lebenden, nicht zu den Toten. Wir sind hier bei dir.«
    Maya öffnete ihre Augen, aber sie waren wie im Dunst, weit entfernt. Sie sprach sanft, halb in Trance. »Ich lief weg von Rio, in die Berge, wo ich bis zum Herbst allein blieb. Es war ein trocknes Jahr; der Schnee kam spät. Fremde Tramper und Wanderer hinterließen mir Essen, und ich lernte mit sehr wenigem auszukommen. Jede Nacht träumte ich, daß es Rio irgendwie gelungen war, mich zu finden, daß er neben mir lag und meinen Körper in seinen Armen wiegte. Jeden Morgen erwachte ich allein. Die Felsen sind dort oben sehr schön. Es ist sauberer Granit mit dunklen Flecken und unzähligen kleinen Quartzeinsprengseln. Nachdem ich Wochen und Monate dort allein gewesen war, begannen die Steine zu mir zu sprechen. Alles wurde lebendig und hatte seine eigene Stimme, und ich konnte sie hören. Die Göttin segnete mich, obwohl ich doch kaum ihren Namen kannte. Und so wurde ich eine Hexe – auch ohne, daß ich dieses Wort überhaupt kannte.«
    Ihre Stimme war nur noch ein verträumtes Murmeln, und sie saßen alle für einen Moment still beieinander, eingehüllt in den Zauber des Augenblicks.
    »Was tat Rio, als du fortgingst?« fragte Bird schließlich.
    Maya setzte sich auf. Ihre Augen wurden wieder klar. »Er warf sich mit gespielter Tapferkeit auf politische Aktivitäten. Seine Gruppe legte eine Bombe in die Büros einer Chemiefabrik, eine andere bei der regionalen Wehrdienststelle. Ihre dritte Aktion ging daneben. Die Bombe zündete vorzeitig, bevor sie eine Warnung durchgeben konnten, und die Nachtwache im Bundesgebäude starb. Es handelte sich um eine Frau, auch noch um eine schwarze Frau. Bevor ich wegging, waren wir in eine Wohnung in der City gezogen, die wir mit unseren

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