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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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trommelten und erzählten Geschichten. In der Morgendämmerung würden sie in die Hügel gehen, mit Glocken läuten und trommeln und singen und tanzen, während die Sonne aufging. Sie waren nicht einsam. Vielleicht hätte sie bis nach den Feiertagen warten sollen. Aber nachdem sie sich einmal entschlossen hatte, wäre ein Aufschub unerträglich geworden. Nein, sie hätte nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen können, sie hätte immer daran denken müssen, daß sie dies alles vielleicht zum letzten Mal erlebte. Sie zitterte. Ihr Feuer war groß genug, und sie legte einen weiteren Holzklotz darauf und wartete, bis er Feuer fing. Die Sonne war fast untergegangen. Wirklich, es sollte eine Schar Ritualtrommler hier sein, um Kraft heraufzubeschwören. Allein in der Stille, mit nur der Kraft, die sie durch Willensanstrengung heraufbeschwören konnte, entkleidete sie sich schnell und ging in die Wellen. Das Wasser fühlte sich eiskalt an ihren Beinen und Oberschenkeln an. Sie watete bis auf Brusthöhe in das beißend kalte Wasser, und während sie sich gegen den Sog der Fluten abstützte, spritzte sie sich Wasser ins Gesicht, auf den Kopf und ins Genick. Laß' es sich auflösen, Krankheit und Verzweiflung und Verletzung und Verlust, Ärger und Erniedrigung und den ganzen Schmerz des vergangenen Jahres. Wasch' es fort, nimm' es mit bei der nächsten Flut, wenn das Rad sich erneut dreht. Licht spielte um sie herum, silbrig und golden und purpur. Sie sang den alten Yoruba Gesang für Yemaya, die Meeresgöttin:
    Yemaya Asesu, Asesu Yemaya
    Yemaya olodo, olodo Yemaya...
    Noch Tage vergingen, bevor das Boot kam. Es erschien am Horizont, seine geflickten Segel sahen aus wie eine Sammlung alter Lumpen an einem Stock.
    Windsäcke und Sonnenkollektoren spannten sich in unregelmäßiger Anordnung, aber es bewegte sich schnell durch das Wasser, steuerte in die Bucht und stoppte bei den Anlegern. Das schlanke Boot war ungefähr zehn Meter lang. An der Seite ein kleines Dinghy, in das sich jetzt mit mutigen Sprung ein Mensch schwang und in Richtung Strand ruderte.
    Madrone stand auf und winkte mit den Armen in weiten Kreisen über ihrem Kopf. Sie fühlte einen plötzlichen Anflug von Vorfreude, vermischt mit Angst. Endlich ging es los – nach diesen nächsten Momenten würde es kein Zurück mehr geben, keine letzte Chance, ihre Meinung zu ändern und nach Hause zu gehen.
    Der Rumpf knirschte auf dem Sand. Madrone lief hinzu, um die Fangleine zu ergreifen und es heraufzuziehen. Bevor sie jedoch das Tau berühren konnte, starrte sie in die Mündung eines Lasergewehres.
    »Eine Bewegung, und ich lasse deine Augen wie Eier auf einem Backblech braten.«
    Die Stimme war tief und volltönig, aber ganz deutlich die einer Frau. Madrone ging einen Schritt zurück. Sie war schockiert, aber nicht wirklich ängstlich; es erschien ihr zu merkwürdig, irreal, in eine Waffe zu schauen, die sich in feindlichen Händen befand. Sie erstickte den Impuls zu lachen.
    »Also, bei Jesus, wer bist du?« fragte die Frau. Ihre Haut erschien dunkel, wie bei Nacht die Wellen, ihr Haar war dicht am Kopf geflochten und besetzt mit goldenen Perlen, ihre Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Blaue Hosen und ein Hemd aus weichem Material, umgaben ihren Körpers. Jede kleinste Bewegung ließ ihre Muskeln unter dem Stoff wellenförmig erscheinen.
    »Mein Name ist Madrone. Ich bin eine Heilerin aus dem Norden. Bird hat mich gesandt.«
    Die Frau beobachtete sie einen Moment, ohne ihr Gewehr zu senken.
    »Wenn das wahr ist«, sagte sie endlich, »dann kennst du meinen Namen.«
    Der Göttin sei Dank, Bird hatte sie gut vorbereitet.
    »Isis«, sagte Madrone.
    »Zieh' mich an Land«, sagte Isis, und setzte sich wieder, als Madrone das Tau ergriff, um die schwere Last heranzuziehen. Dann sprang sie in Windeseile heraus und zog das Boot auf den Strand, als sei es schwerelos.
    Sie muß unglaublich stark sein, dachte Madrone, als die Frau ihre Hand zum Gruß entgegenstreckte.
    Madrone ergriff die Hand und fühlte plötzlich eine Woge rohen Verlangens, wie einen elektrischen Schlag, aufregend und verwirrend.
    Wie verhalte ich mich? fragte sie sich plötzlich. Welche Regeln gelten hier? Jeder, den sie sonst in ihrem Leben kannte, war Teil einer sehr vertrauten Verbindung, hatte eine Geschichte, die sie kannte oder doch zumindest ihren Ruf. Sie kannte ihre Familie und das Council und ihre Patienten und ihre Lebensgeschichte. Sie war für alle berechenbar. Hier

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