Das Fünfte Geheimnis
Madrone fühlte sich überrumpelt, sie hatte viel mehr Zärtlichkeiten erwartet, viel mehr Liebkosungen. Aber Hijohn preßte sie hart an sich, so daß sie zu zerbrechen meinte. Er kam, er seufzte und wälzte sich zur Seite, noch einmal seufzte er. Dann blickte er sie besorgt an.
»Alles okay?« fragte er halblaut.
Madrone lag auf dem Rücken, tief verwundert. Was war geschehen? Verstand Hijohn das nicht? Wie konnte er beides sein, so heldenhaft und doch so ignorant? Offenbar konnte er das. Sie spürte, wie die kleine Lücke zwischen ihren Körpern zum Abgrund wurde. Sie hatte geglaubt, ihm näher zu kommen. Aber sie lebten verschiedene Leben in verschiedenen Welten.
Hat sich schon mal jemand die Mühe gemacht, ihm zu erklären, wie man wirklich mit Frauen umgeht? Das hätten Maya, Johanna und Rio jetzt vermutlich gefragt. Und sicher hat er nie den Luxus erlebt, ein ganzes Jahr im Wald zuzubringen. Ein Jahr mit Freunden und Freundinnen. Ein Jahr Zeit, um zärtlich miteinander zu spielen, zu experimentieren, zu lernen. In dieser Zeit mußte er sicher schon um sein Leben kämpfen.
»War wohl nicht schön für dich, Madrone?« fragte Hijohn.
Sie seufzte: »Hijohn, es gibt da ein paar Dinge, die ich dir gern beibringen würde.«
»Du machst es wohl lieber mit Frauen?«
Madrone lächelte: »Nicht unbedingt. Es kommt mir auf den Menschen an, nicht auf die Form seines Geschlechts. Aber du brauchst ein bißchen mehr, hm, nun ja, Technik.«
»Welche Technik? Zeig es mir!«
Sie zeigte es ihm. Langsam. Sanft. Geduldig. Zärtlich. Sie hatten den ganzen Tag Zeit. Sie hatten etwas zu essen, etwas zu trinken. Und dieser Unterricht hielt ihre Gedanken von den schrecklichen Vorstellungen fern, die sie sonst nicht hätte fernhalten können. Ihre City, von den Stewards überrollt?
Madrone zeigte ihm die geheimen Stellen der Lust an ihrem Körper. Sie zeigte ihm, wie sich das Vergnügen vom freundlich-harmlosen Aneinanderschmiegen steigern ließ, schrittweise, bis zum wilden, ekstatischen Entzücken. Hijohn lernte, er lernte mit ungeschickter Ungeduld. Er lernte, voller Begierde. Birds Finger hatten früher buchstäblich Musik auf ihr gespielt, erinnerte sich Madrone voll süßer Sehnsucht. Sandys Hände hatten die glühende Kraft eines Heilers gehabt. Nita bewegte sich mit der leichten Ungeschicklichkeit eines Naturwissenschaftlers. Hijohn war willig, aber noch immer zu direkt. Langsam ging der Tag.
»Würde Katy dies auch gut finden?« fragte er. Sie lagen nebeneinander, buchstäblich gesättigt.
»Versuch' es, und du wirst es wissen«, sagte Madrone spöttisch, und fügte hinzu, »wenn du gut aufpaßt.«
»Ich weiß nicht. Sie wird sich wundern, warum ich mich plötzlich so anders verhalte.«
»Sag' ihr, dies ist ein Geschenk von mir für sie.«
Er drehte sich überrascht um und blickte sie erschrocken an. »Du meinst doch nicht, daß ich ihr dies erzählen werde?«
»Willst du ihr nichts erzählen?« fragte Madrone zurück, »willst du ein Geheimnis daraus machen?«
Die Kluft zwischen ihnen war plötzlich wieder da. Er war meilenweit von ihr entfernt, in einer anderen Welt.
»Warum sollte ich davon erzählen? Es würde sie nur verletzen.«
»Glaubst du?«
»Ganz bestimmt!«
»Warum sollte es sie verletzen, daß wir Freude miteinander hatten? Hier in den Bergen, wo das Leben so hart ist und es so wenig Trost gibt?«
»Es würde sie verletzen, glaub' mir.«
»Und warum hast du es dann getan, obwohl du so sicher bist, daß es sie verletzen wird?«
»Solange sie es nicht weiß, verletzt es sie auch nicht.«
»Aber wie willst du es vor ihr geheimhalten? Wird sie es nicht sofort merken, wenn sie dich ansieht? Oder sieht, wie unser Verhältnis sich gewandelt hat. Wird sie das nicht spüren?«
»Nicht alle Frauen sind solche Hexen wie du, mein Liebes. Sie wird es nur erfahren, wenn du es ihr erzählst.«
»Aber wie kann ich sie anlügen und gleichzeitig ihre Freundin sein? Wir sprechen über dich – Frauen sprechen über ihre Männer, das weißt du doch. Und wie kannst du sie anlügen und weiter ihr Liebhaber sein?«
»Hast du deine Männer nie belogen?«
»Was hätte das genützt? Sie hätten sofort gemerkt, daß ich lüge.«
»Du würdest also heimgehen und sagen: Hey Charlie, ich war so einsam, aber dann habe ich ein bißchen mit Hijohn geschlafen. Und hier sind ein paar Tricks, die er mir beigebracht hat.«
»Ja.«
»Und er würde sagen: Wenn du ihn wieder triffst, sag ihm ein Dankeschön!«
»Genauso,
Weitere Kostenlose Bücher