Das Fünfte Geheimnis
das, und wie wirkt er?«
Beth seufzte. »Mein Fach ist Gynäkologie. Einige meiner Patienten haben immer Booster bekommen. Aber vor zwanzig Jahren war das sehr selten. Und schon damals hat die Corporation die genaue chemische Zusammensetzung geheim gehalten. Wir wissen zwar, daß die Booster das Immunsystem stimulieren, vermutlich vermehren sich die T-Zellen dann schneller. Die Booster sind wohl ein Nebenprodukt bei der Erforschung von Immundefekten. Sie helfen durchaus, aber wir vermuten, daß sie auch süchtig machen.«
»Das tun sie«, sagte Madrone.
»Die Corporation geizt mit jeder Information über Booster. Sie haben nur ihre eigenen Ärzte aufgeklärt, vermutlich auch nur halb und halb. Die anderen Ärzte erfuhren rein gar nichts.«
»Wie war das für dich, deine Zulassung zu verlieren?«
»Oh, das war ein Alptraum. Wir sahen die Nachricht über das neue Gesetz im Fernsehen, meine Partnerin und ich. Wir konnten es gar nicht glauben. Warum sollten Frauen keine Ärzte mehr sein? Mary und ich hatten eine kleine Praxis. Mary war außerdem meine Liebste, fünfzehn Jahre lang.« Beth machte eine Pause. »Bist du jetzt schockiert?«
»Schockiert? Worüber?«
»Daß ich eine Frau als Geliebte hatte?«
»Sollte mich das schockieren? Das ist bei uns zu Hause ganz normal. Sogar meine Großmutter hatte eine Geliebte, fast ihr halbes Leben lang. Und ich habe auch welche gehabt.«
Beth warf einen Blick auf Hijohn, aber er blickte unbeteiligt. »Wir vom Web haben über Homosexualität eigentlich keine Meinung«, sagte er.
»Dann wird es Zeit«, sagte Beth, »denn wenn dieses System zerstört werden soll, müssen auch alle Formen der Unterdrückung zerstört werden. Aber ich wollte erzählen, wie ich meine Zulassung verlor. Die Gynäkologie-Association der Frauen kam zu einem Meeting zusammen. Wir beschlossen einstimmig, die neuen Gesetze über Familien-Reinheit einfach zu ignorieren und weiterhin zu praktizieren. Wir meinten, sie würden uns nicht verfolgen. Aber das war falsch gedacht.«
Sie schwieg, und sprach dann weiter: »Einen Monat lang ging alles ganz gut. Doch dann passierte es. Es war in der Klinik. Ich untersuchte gerade eine junge Frau, da donnerten Schläge an die Tür meines Zimmers. Im Warteraum fand ich ein Dutzend Polizisten, umringt von schreienden und weinenden Frauen. Mary und ich wurden verhaftet. Wir widersetzten uns nicht. In Handschellen wurden wir ins Polizeiauto verfrachtet und zur Wache gebracht. Wir erwarteten, daß wir nach einem kurzen Verhör wieder freigelassen würden. Du siehst, wir verhielten uns wie selbstbewußte Menschen, Angehörige einer Oberschicht. Wir waren gewöhnt, mit Respekt behandelt zu werden.«
Beth blickte auf die gestopfte Stelle von Madrones Jeans. Ihre Worte kamen fast im Rhythmus der Nadel, die gleichmäßig durch den Stoff geschoben wurde.
»Stattdessen zogen sie uns nackt aus, banden uns mit gespreizten Beinen und Armen so ans Gitter, daß sie uns genau untersuchen konnten. Das machte den Kerlen viel Spaß, und wir hatten große Angst. Dann bekamen wir Gefängniskleidung und wurden einzeln in Zellen gesperrt. Dort blieben wir eine Woche. Als unser Rechtsanwalt uns endlich fand, mußten wir eine Erklärung unterschreiben, wonach wir nie wieder ärztlich tätig sein würden. Ich unterschrieb auf seinen Rat hin. Ich weiß nicht, ob ich darüber froh oder traurig sein soll. Es gab dann noch eine große Veranstaltung, bei der Tausende von ehemals berufstätigen Frauen vor laufenden Fernsehkameras ihre Demütigung öffentlich machen mußten. Es gab ein offizielles Freudenfeuer, direkt vor dem Zentral-Einkaufszentrum. Jede von uns mußte am Feuer vorbeimarschieren und ihre Zulassung ins Feuer werfen. Aber so haben wir wenigstens überlebt. Mary verschwand eines Tages, und ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Ich hoffe, es ist ihr nichts zugestoßen.«
Ich habe genug davon, solche Geschichten zu hören, dachte Madrone. Ich möchte nicht so eine seelische Belastung mit mir herumschleppen müssen wie Mary, wie meine Mutter, und wie die Seelen von so vielen Frauen, die als Hexen verbrannt wurden, die als angebliche Teufelspriesterinnen sterben mußten. Es müssen Tausende gewesen sein. Madrone wünschte sich inbrünstig, fortgehen zu können, fort von Beths Haus, fort aus diesem stickigen Kellerraum, wo die kranke Frau nun hoffentlich schlief.
Madrone und Hijohn brachen auf, bevor der Morgen dämmerte. Der Frau im Kellerraum ging es viel besser. Die Blutungen
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