Das Fünfte Geheimnis
mehr oder weniger.«
»Du lügst. Er würde doch eifersüchtig werden?«
»Natürlich wäre er das. Und ich umgekehrt auch. Ich war wahnsinnig eifersüchtig, als Bird in eine andere Frau vernarrt war und mich nicht mehr beachtete. Aber es verletzte mich nicht, wenn ich daran dachte, daß er Spaß mit anderen Frauen hatte, weil ich nicht da war. Ich denke, es geht ihm genauso.«
»Nun ja, ich denke ja ähnlich wie du. Aber Katy denkt anders. Und deshalb solltest du ihr nichts erzählen. Versprochen?«
»Hijohn, das kann ich nicht versprechen. Ich weiß nicht, was ich tun werde.«
»Das mußt du versprechen!«
»Ich muß tun, was meine Gefühle für richtig halten.«
»Scheiße!«
Er drehte sich um und starrte ins Blattwerk der Eiche.
»Dann muß ich es Katy erzählen«, sagte er schließlich geistesabwesend. Madrone fühlte sich wieder meilenweit entfernt von ihm. Sie lagen nebeneinander, aber es ging eine Verdrossenheit von ihm aus, die sie noch nicht kannte.
»Das ist sicher eine gute Idee«, sagte Madrone schließlich.
»Oh, Scheiße!«
»Tut mir wirklich leid, wenn es zwischen Katy und dir deswegen Ärger gibt. Das habe ich nicht gewollt«.
Hijohn streichelte ihre Hand, gleichgültig, abwesend. »Laß uns ein bißchen schlafen«, sagte er, »wir müssen noch weit marschieren.«
Er drehte sich um, mit dem Rücken zu ihr, und war bald darauf eingeschlafen. Nur Madrone fand keinen Schlaf. Sie lag noch lange wach, voller Gedanken, bis schließlich die Sonne unterging.
Kapitel 24
Mitten in der Nacht erwachte Maya. Es war ganz still. Ungewöhnlich still sogar, und Maya fühlte sich zunächst nur irritiert. Doch dann, ganz plötzlich ahnte sie, was an der Stille
so gefährlich war. »Sam«, flüsterte sie und stieß ihn leicht in die Seite, »Sam, wach auf! Da stimmt etwas nicht.«
Er erwachte sofort, nicht umsonst hatte er jahrelang als Bereitschaftsarzt Nachtwache gehalten. »Was gibt es? Ist jemand verletzt?«
»Niemand ist verletzt. Aber es stimmt etwas nicht – irgendetwas stimmt nicht. Horch!«
Er lauschte. »Ich höre nichts.«
»Das ist es ja, der Fluß rauscht nicht mehr, es herrscht Stille«, stieß Maya hervor. Zwanzig Jahre war sie eingelullt durch das Rauschen des Flusses eingeschlafen. Vor zwanzig Jahren war der Fluß aus seinen unterirdischen Rohren wieder in sein natürliches Bett geleitet worden. Und seitdem gehörte das Strömen und Plätschern und Rauschen des Wassers zu ihrem Leben, gab ihr ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit. Niemand konnte wirklich krank werden, so ging der Spruch in der City, wenn er das Plätschern des Flusses hörte. Und so wurde ein ganzes Netz von Gräben, Kanälen, Teichen und kleinen Wasserfällen gebaut – Wasserfälle, die monoton und doch auch süß rauschten, wie ein beruhigender Regen. Und nun war dieses Rauschen verstummt.
»Sam, was ist passiert? Was ist mit dem Fluß?«
»Die Steward-Soldaten!«, fluchte Sam.
Maya warf ihre Bettdecke zurück. »Laß uns nachsehen.«
Der Fußweg vor dem Haus schimmerte dunkel im silbrigen Licht des abnehmenden Mondes. Altweiber-Mond, dachte Maya, Endzeit, Zeit der Auflösung. Die Stewards hatten eine nächtliche Ausgangssperre über die City verhängt. Eine Woche lang hatten alle gehorcht. Aber in dieser Nacht waren Maya und Sam nicht die einzigen auf der Straße. Auch andere waren durch die beunruhigende Stille aufgewacht oder von Freunden geweckt worden. Überall öffneten sich Türen, überall drängten immer mehr Menschen auf die Wege, schüttelten schweigend und ingrimmig den Kopf, und immer mehr Menschen strömten die Wege zum Hügel hinauf, wo das Wasserreservoir lag.
Sie gingen langsam, Maya hängte sich bei Sam ein. Sie hatte Angst. Dies war die Konfrontation, vor der sie sich gefürchtet hatte, dies erst war der richtige Krieg. Bird, dachte sie, wie würde Bird diese Sache überstehen? Er war nicht in seinem Zimmer gewesen. Er verbrachte oft genug nach einem Meeting die Nacht im Council, um nicht mit der Ausgangssperre in Konflikt zu kommen. Aber Maya war sicher, daß er in diesem Fall dabei sein würde.
Die Menschenmenge kletterte den Hügel hinauf, eine dunkle Masse am Hang, hinauf zu dem Gebiet, wo in einem tiefen Teich die Quelle des Flusses entsprang. Eine Gruppe von Soldaten vermauerte gerade die Fluttore, mit denen der Wasserspiegel des Flusses reguliert wurde, mit Sandsäcken und Zement. Eine noch größere Gruppe stand Wache, Lasergewehre im Anschlag. Die alte Salvia Westin vom
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