Das Fünfte Geheimnis
Angst.
„Was weißt du, Mann. Erzähl' uns, was du weißt, wir sind doch Brüder.“
„Ich weiß, was passiert, wenn ihr eine Hexe vergewaltigt.“
„Was?“
„Ich würde lieber sterben,“ sagte Bird tonlos, „und das jeden Tag...“
„Shit...“
✳✳✳
Sie gaben dem Mädchen die Kleider zurück und schickten sie nach Hause. Bird erfuhr niemals ihren Namen. Aber darauf kam es nicht an. Sie war freigelassen worden, und das war ein großer Sieg. Wenn nicht durch gewaltfreien Widerstand, dann durch Tricks. Er jubelte innerlich, daß er gesiegt hatte. Sie haben sich verspekuliert. Wenn dies Teil ihres Planes gewesen war, ihn in die Knie zu zwingen, ihn immer mehr zu demütigen, dann hatten sie einen Fehler gemacht. Kein Wunder. In ihrer Welt war Vergewaltigung nicht der Rede wert. Es war ein Vergnügen, ja eine Ehre. Woher sollten sie wissen, daß es für mich eine schreckliche Sache ist, dachte Bird. Doch in seinen stillen Jubel mischten sich nagende Zweifel, neue Angst stieg hoch. Er würde nicht entkommen.
Kapitel 29
Zitternd kauerte Madrone in der Koje. Isis hatte sie in alle Decken gehüllt, die an Bord zu finden waren, dennoch war ihr kalt bis ins Mark. Jeder Atemzug schmerzte sie, ihr Herz klopfte wie rasend. Schock und Unterkühlung konstatierte sie. Total ausgepumpt, jedes Quentchen Energie war weg. Aber sie lebte.
„Trink“, sagte Melissa und führte eine Tasse an Madrones Lippen. Heißes Wasser mit Honig. Sie nippte vorsichtig, bewahrte die Flüssigkeit auf der Zunge, die Süße.
„Wie geht es ihr?“ Isis steckte ihren Kopf durch die Decksluke.
„Schon besser, sie braucht nur Ruhe“, sagte Melissa.
„Anker wegfieren!“ hörten sie Isis' Kommando und dann das Rasseln der Ankerkette.
„Wir ankern hier über Nacht“, erklärte Isis. Melissa schloß die Decksluke hinter sich und fragte sanft: „Möchtest du uns erzählen, was passiert ist?“
Madrone trank noch einen Schluck. Kaum zu glauben, daß sie wirklich hier an Bord von Isis' Boot war. Nicht mehr im Meer treibend, ein langsam erfrierendes Bündel auf den kalten Wellen des Ozeans.
„Wir haben von dem Überfall gehört“, begann Isis wieder.
„Littlejohn ist tot“, stieß Madrone hervor, „und sie haben Katy gefangen.“ „Shit!“ „Trink“, sagte Melissa freundlich. „Du konntest flüchten?“ fragte Isis. „Die Angels halfen mir.“ Langsam, bruchstückhaft, erzählte Ma
drone die ganze Geschichte ihrer abenteuerlichen Flucht.
„Sie haben dich also im Stich gelassen, als es ernst wurde“, empörte sich Isis, „diese Feiglinge. Man kann ihnen nicht vertrauen. Ich hasse sie.“
Madrone schloß die Augen.
„Ich will gerade die Monster besuchen, morgen. Möchtet du mitkommen? Drei Tage hinauf, zwei Tage zurück?“ fragte Isis.
Madrone schüttelte den Kopf. „Ich muß Katy finden. Ich muß sie schützen. Ich darf keine Minute warten.“
„So wie es dir geht, wirst du gar nichts finden. Außer dein Grab.“
„Die Angels vermuten, sie wird im Forschungs-Center sein“, Madrone flüsterte nur noch. „Bei der Universität.“
„Genauso gut könnte sie auf dem Mond sein.“
Madrone schüttelte den Kopf: „Beth wird helfen.“
„Wer ist Beth?“
„Eine Freundin. Eine Ärztin, war sie wenigstens mal. Vor Jahren.“ Madrone hielt inne und erklärte dann entschieden: „Ich werde zu ihr gehen. Wir finden schon heraus, wie Katy zu retten ist.“
Sie wußte nicht, woher sie die Überzeugung nahm, daß sie Katy retten konnte. Aber die Gewißheit wuchs von Minute zu Minute. Sie war am Leben geblieben. Warum sollten nicht einige gerettet werden können, wenn doch so viele sterben mußten? Ich konnte Poppy nicht helfen. Ich konnte meiner eigenen Mutter nicht helfen. Aber ich muß Katy helfen. Ja, das mußte sie, wenn es irgend möglich war.
„Du bist total verrückt. Wie kannst du in deinem Zustand einen Fünfzehn-Meilen-Marsch durch die Canyons machen?“
Madrone schüttelte den Kopf: „Ich brauche eine Fahrgelegenheit.“ Sie holte tief Luft, ihr ganzer Körper schmerzte. „Sara kann mir weiterhelfen.“
„Wer, zum Teufel, ist das wieder?“
„Eine andere Freundin. Eine reiche weiße Lady. Sie lebt in einem großen, weißen Haus am Rande eines Canyons. Das ist dort, wo ich im Swimmingpool gebadet habe. Sie hat mir auch geholfen.“
„Und wie willst du Verbindung zu ihr aufnehmen?“
Madrone seufzte und sank zurück in ihre Koje. Sie war zu müde, um noch einen klaren Gedanken zu
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