Das Fünfte Geheimnis
fassen.
„Katy ist bestimmt eine gute Frau“, fuhr Melissa fort, „aber es ist jenseits unserer Möglichkeiten, sie zu retten.“
„Nein, ich habe es ihr versprochen“, protestierte Madrone.
„Was versprochen?“ fragte Isis.
„Daß ich da bin, wenn ihr Baby kommt!“
„Aber die Situation hat sich geändert, total.“
„Ich muß es wenigstens versuchen, unbedingt.“
„Okay“, seufzte Isis, „reg' dich nicht auf. Du sagst mir, wie das Haus deiner Freundin zu finden ist. Dann versuchen wir, Verbindung zu bekommen und werden sehen, was sie tut.“
✳✳✳
Madrone schloß die Augen. Im Traum trieb sie wieder auf den Wogen, hilflos, wehrlos, wartend, doch worauf? Sie wollte heim. Jemand rief sie nach Hause. Bird? Nein, sie war selbst ein Vogel, der mit weit ausholenden Flügelschlägen nordwärts flog, entlang der sonnendurchglühten Küste. Über die Berge und die letzten Bestände großer Rot-Zedern. Dann war sie plötzlich zu Hause. Der Garten sah verlassen und ausgetrocknet aus. Maya saß in der Küche des Black Dragon House, ganz allein. „Ich bin wieder da“, sagte Madrone. Aber sie war unsichtbar, ein Geist. Mayas Augen blickten alt und traurig. Dann verschwamm Mayas Gesicht und Madrone blickte in Lilys Augen.
„Alles ist schiefgegangen“, flüsterte Madrone, „was immer ich auch angefangen habe, ist zerstört worden.“
„Komm nach Hause“, sagte Lily.
„Ich muß noch retten, was ich retten könnte.“
„Komm nach Hause.“
„Lily, ich habe mich wieder erinnert. An Mutters Tod.“
„Komm nach Hause.“
„Aber sie haben dich besiegt. Ich kann das nicht ertragen.“
„Du gehörst hierher. Komm nach Hause.“
Madrone erwachte. Sie schlürfte noch etwas von dem Honigtrank, kaute an einem Stückchen Eichelbrot. Erneut schlief sie ein. Und wieder trieb sie auf den schäumenden Wogen. Erneut kämpfte sie verzweifelt gegen die Strömung.
✳✳✳
Isis kam eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit zurück.
„Sorry, daß es so lang gedauert hat“, sagte sie, „ich mußte warten bis ihr Kerl wegging. Bist du fertig? Sie ist ein paar Meilen hinaufgefahren zum Beach Club. Sie kommt in einer halben Stunde, um dich zu holen. Komm, ich rudere dich an Land, wenn du wirklich gehen willst. Weißt du, daß dein Steckbrief überall aushängt und im Fernsehen gezeigt wird? Zusammen mit einigen hübschen Bildern
von hübschen Toten. Mädchen, die Angels haben dich geleimt.“
„Wie meinst du das?“
„Es war wohl eine Überwachungskamera im Haus. Vermutlich schert so etwas die Angels nicht. Bei denen sieht einer wie der andere aus. Aber dich erkennt nun jeder. Und das macht mir Angst.“
Madrone war zu müde, um darauf noch zu antworten. Zu müde, um darüber nachzudenken. Sie folgte Isis ins Beiboot und zwang sich, mit gleichgültigen Augen über das Wasser zu blicken, während sie an die Küste ruderten.
„Paß auf“, sagte Isis, während sie Madrone aus dem Boot half. „Deine Freundin hat einen Schlüssel zum Yacht Club. Sechs Tage von heute an gerechnet, nach Einbruch der Dunkelheit, werde ich am Ende von Pier C auf dich warten. Wenn es sein muß, hole ich dich aber von überall ab.“
„Ich will nach Hause“, sagte Madrone zu ihrer eigenen Überraschung.
„Dürfte auch Zeit sein“, nickte Isis zustimmend, „sei vorsichtig! Dein Steckbrief wird dauernd im TV gezeigt.“
Madrone fiel etwas ein: „Wieso denn der Yacht Club. Ist das nicht viel zu gefährlich?“
„Es ist der beste Ankerplatz an diesem Teil der Küste. Der letzte Ort, wo sie dich suchen würden. Schaffst du diesen Pfad hoch?“
„Ich will und ich muß.“
Der Pfad schlängelte sich seitlich den Hügel hinauf. Madrone zwang sich, gleichmäßig auszuschreiten. Dabei war sie eigentlich nur noch müde, müde, müde. Ihre Augen brannten, die Lungen schmerzten. Dann wartete sie, dicht neben einem Ginsterbusch, bis sie einen schwarzen Sportwagen herankommen hörte. Der Wagen bremste abrupt, Sara stieg aus. Sie lehnte sich einen Moment an den Wagen und tat so, als bewundere sie die schöne Aussicht. Schließlich konnte man das Auto ja von der Küstenstraße aus sehen. Madrone kroch zur offenstehenden Tür und schlüpfte auf den Rücksitz.
„Kopf runter!“ befahl Sara, während sie wieder in den Wagen stieg und den Motor startete.
✳✳✳
Sie fuhren schweigend die Küste hinunter und dann landeinwärts die kurvenreiche Straße am Fuße des Canyons.
„Danke, daß du mich geholt hast“,
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