Das Fünfte Geheimnis
Booster-Problems“, sagte Maya eindringlich, obwohl sie dessen gar nicht so sicher war. „Das kriegen wir hin.“
„Das sagst du“, gab Muskelmann zurück, „du sagst, wir sollen kommen, du sagst, wir sollen für euch siegen. Und dann? Was passiert dann mit uns? Wie wollt ihr eine ganze Armee ernähren?“
„Wir wollen keine Armee“, erklärte Maya, „die können wir gar nicht ernähren. Aber wir können euch zeigen, wie ihr euch selbst ernähren könnt. Ihr bekommt Land, wenn ihr etwas anbauen wollt. Oder ihr könnt in der City arbeiten, wenn euch das lieber ist. Wir bieten euch Häuser an, um darin zu leben, ein großes, in dem ihr zusammenleben könnt. Oder ein kleines Apartment, wenn jemand allein leben möchte.“
„Was für eine Sorte von Arbeit meinst du?“ fragte Teeth mißtrauisch.
„Was würdest du denn gern arbeiten? Du kannst bei uns etwas lernen, wenn du willst, oder in Arbeitsgruppen mitmachen. Du kannst unsere Eisenbahnlinien wieder aufbauen, oder bei der Wasserversorgung mitarbeiten oder – wenn dir das besser gefällt – Seidenraupen züchten. Einige von euch würden vielleicht gern auf der Universität studieren? Wir hier im Norden haben nicht genügend Leute. Wir haben mehr Arbeit, die gemacht werden muß, als Leute, die diese Arbeit tun können. Deshalb müssen alle bei uns hart arbeiten, da will ich euch nichts vormachen. Ihr werdet schwer arbeiten müssen. Aber ihr werdet nicht hungern müssen oder dursten.“
„Warum sollen wir dir das alles glauben?“ fragte Tiny. „Wo ist die Falle?“
„Ihr habt unsere City gesehen“, sagt Maya. „Habt ihr Slums gesehen? Gettos? Ihr habt unsere Anführer gesehen, bevor die meisten von ihnen getötet wurden. Ihr habt gesehen, daß es Schwarze, Gelbe, Rote und Weiße sind, daß alle Rassen vertreten sind. Bei uns herrscht nicht eine einzige Gruppe. Es ist wahr, daß wir einige Dinge nicht erlauben. Raub und Vergewaltigung zum Beispiel. Oder Gewalt gegen andere. Aber wir bieten euch Freiheit. Warum ergreift ihr nicht diese Chance?“
Alle schwiegen. Hinter ihren verschlossenen, dunklen Gesichtern arbeitete es. Maya konnte nicht erkennen, was in ihnen vorging. Aber sie sagte sich: Siehst du, Johanna, verstehst du nun, Rio? Das ist es, was ich meine, dafür bin ich ausgesandt.
Tomàs tauchte mit Eimer und Putzmitteln wieder auf. „Ihre Zelle ist fertig. Ich kann sie nun zurückbringen.“
Muskelmann schüttelte den Kopf: „Laß sie hier bei uns.“
„Yeah“, sagte Teeth, „ich hör' sie gerne reden.“
✳✳✳
„Ich hätte nie gedacht, daß es einmal so weit kommen würde“, sagte Sam. „All diese Jahre, die ich mit dem Studium zugebracht habe: Stanford, Johns Hopkins. Diese Namen bedeuteten früher etwas. Wer hätte gedacht, daß ich mal von einer Hexe abhängig sein würde, die für mich Medikamente aus Honig zusammenbraut?“
„Hex, hex!“ sagte Madrone. Sie machte ihre Runde im Black Dragon House. Nach einer Woche der Behandlung waren die meisten Deserteure schon in deutlich besserer Verfassung.
„Beschwer dich nicht, Sam“, meinte Lou. Er fühlte gerade einem der Kranken auf altchinesische Manier den Puls. „Bete lieber, daß unsere Heilmethoden weiterhin helfen.“
„Hexen beten nicht, sie beschwören“, warf Madrone ein.
Lou ignorierte sie. „Du siehst schon viel besser aus“, sagte er zu seinem Patienten.
„Ich fühle mich auch besser.“
„Dann kannst du in zwei, drei Tagen aufstehen“, meinte Lou. „Erst einmal brauchst du aber noch Ruhe.“
Sie gingen in die Küche, wo Lily gerade am großen runden Tisch Tee trank. Sie stand auf und begrüßte sie. Am Herd stand River und half Mary Ellen, Gemüse für das Essen vorzubereiten. Er hatte sich angewöhnt, Madrone auf Schritt und Tritt zu begleiten, wie ein großer Labradorhund, aber wenn sie die Runde machte, konnte sie ihn nicht dabeihaben. Sie war überrascht, wie gut er inzwischen aussah. Er befolgte alle Aufträge willig, egal ob sie von ihr, von Sam oder von Mary Ellen kamen. Er war gewohnt, Befehle zu befolgen.
„Ich finde ihn ganz nett“, meinte Mary Ellen, „ich weiß ihn zu nehmen. Immer fest sein, und ihn nicht aus den Augen lassen, bis du sicher bist, daß er zu dir steht. Und dann Gnade deinen Feinden!“
Die Lebensmittel wurden knapp, aber alle City-Bewohner brachten widerspruchslos etwas, um die kranken Soldaten durchzubringen, sogar dann, wenn sie selbst kaum genug hatten. Madrone bemerkte, daß Mary Ellen offenbar den
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