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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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Kopf, einen Moment lang fühlte sie sich bei etwas ertappt, das die Ordensschwestern eine Sünde nennen würden.
    Sozusagen als Wiedergutmachung ging sie zu Bird und berührte ihn an der Schulter, dann zog sie ihn am Ärmel zu sich herunter und küßte ihn leicht auf die Wange. Sie war immer noch ärgerlich, ärgerlich über die anderen, ärgerlich, daß man sich so um sie kümmerte. Warum hatte keiner einfach gesagt, gut gemacht, Madrone, vielen Dank, daß du unsere City-Bewohner geschützt hast. Doch im übrigen sagten das viele Leute zu ihr, mehr noch, sie kamen und zündeten Kerzen vor ihrer Haustür an, brachten kleine Körbe mit Früchten und Blumen als Dank. Also nicht ärgern! dachte sie bei sich. Vielleicht wollte sie doch als Märtyrerin bewundert werden? Wie die drei Heiligen Schwestern von Guadeloupe. Die irgendwann einmal zu Tode gefoltert worden waren. Sie erinnerte sich an den goldstrotzenden Schrein in der Kathedrale in der Hauptstadt.
    Ihre Mutter war damals als Heilerin, als Weise Frau, überallhin gerufen worden. Bis die Soldaten kamen. Aber das war nun alles schon so lange her, daß sie sich nur mit Mühe an ihr Gesicht erinnerte. Plötzlich überkam Madrone ein wilder Schmerz, sie trauerte wieder um ihre Mutter und um Sandy. Sie wünschte sich, Bird würde ihren Kummer bemerken, sie in die Arme nehmen und trösten, wie es Sandy getan hätte. Aber Bird war so von seiner Arbeit in Anspruch genommen, daß er nichts von ihrer traurigen Aufwallung bemerkt hatte. Und es wäre nicht fair ihm gegenüber, nun plötzlich zu weinen und die schlechte Laune an ihm auszulassen. Stattdessen fragte sie ihn, mit betont gleichmütiger Stimme, was er da mache.
    »Ich pflanze den Schwarzwurz um«, erklärte er, »er hat schon fast das ganze Beet erobert und nimmt den anderen Kräutern das Licht.«
    Madrone erstarrte. »Aber das ist doch Sandys Schwarzwurz. Er hat ihn hierher gepflanzt. Er wollte, daß er hier und nirgendwo sonst wächst!«
    »Sicher wollte er das so. Und nun will ich es anders«, gab Bird freundlich zurück.
    Dieser Schwarzwurz. Sie hatten ihn gemeinsam bei zunehmendem Mond gepflanzt und sich dann wild geliebt, auf dem nackten Erdreich, zwischen den anderen Kräutern. Nach seinem Tod hatte sie Sandys Asche über den Schwarzwurz gestreut. Nun lag er entwurzelt auf der Erde, die Blätter hingen schlaff herunter, für sie war es eine ungeheuerliche Entweihung.
    »Du solltest lieber erst mich fragen, bevor du im Garten etwas verpfuschst«, sagte Madrone ärgerlich.
    Das klang nach Streit, dachte Bird. Er hatte diesen Streit schon seit Tagen heranziehen sehen. Aber er hatte gehofft, es würde nicht passieren, doch nun war der Streit da. Über sie hereingebrochen wie ein Unwetter, wie eine kalte Unterströmung in ihrem heißen Liebessturm. Es war schon seltsam. Wenn sie sich in der Liebe einander öffneten, dann war es wie der Klang zweier genau aufeinander abgestimmter Glocken, und die süßen Obertöne klangen noch Tage später in seinen Ohren. Doch dies waren nun harte, kalte Töne. Er wollte nicht mit ihr streiten. Aber er wollte sie sich auch nicht in dieses Dickicht einer gestorbenen Liebe verrennen lassen. Und diese Töne waren auch zu harsch, das hatte er nicht verdient. Sie hielt inne und wartete auf seine Antwort, mit dem Blick, den er gelernt hatte an ihr zu hassen. Er fühlte sich dann als Eindringling, als jemand, der kein Recht hatte, auf diesem Platz zu stehen. Und es war doch auch sein Zuhause, verdammt!
    »Entschuldige«, sagte er, »ich wußte nicht, daß ich dafür deine persönliche Erlaubnis brauche.«
    »Es ist Sandys Garten. Er hat ihn mit viel Sorgfalt angelegt.«
    »Und nun pflege ich ihn mit viel Sorgfalt. Sandy ist tot.«
    »Das ist kein Grund, seine Werke einfach«, sie suchte nach einem Wort, »einfach auszuradieren. Als hätte er nie existiert.«
    »Madrone! Por Diosa! Was, um Himmels Willen, ist mit dir los?«
    Sie merkte plötzlich, daß sie Bird mit ihren Worten sehr verletzte, ihn von sich fortstieß. Dabei wollte sie doch das Gegenteil, wollte so schrecklich gern in seinen Armen Ruhe finden. Aber sie konnte sich nicht bremsen.
    »Ich will nur, daß du Respekt vor ihm und seiner Arbeit hast, das ist alles. Respekt vor dem, was er wünschte, du kannst nicht einfach daherkommen und alle diese Dinge verändern wollen. Das geht mir zu schnell.«
    Bird holt tief Luft. Er fühlte sich zurückgestoßen in die Schattenwelt, in der er kein Gesicht und keine Geschichte mehr hatte.

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