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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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einer Fingerspitze die Kringel und Wellenlinien nach, die die Sonne auf Madrones Gesicht warf. Es gefiel ihm nicht, was er sah. Madrone wirkte so dünn, erschöpft und empfindlich. Am liebsten hätte er sie ganz fest in seine Arme geschlossen, schützend, um ihr neue Kraft und neuen Mut zu schenken, obwohl er selbst nicht wußte, woher er Kraft und Mut nehmen sollte. Es war schon schwer genug, mit den eigenen Schmerzen fertig zu werden.
    »No te preocupes«, sagte er. »Alles kein Grund zur Beunruhigung. Sogar der Geruch der Komposttoiletten hier ist für mich ein köstlicher Duft.«
    »Ja, und du solltest mal zum Nachbarschafts-Council gehen«, gab Madrone zurück.
    »Ich war doch gestern dort«, meinte Bird ablehnend.
    Madrone fühlte, wie Bird sich in sein Schneckenhaus zurückzog. Sie rollte sich auf die Seite und blickte ihm direkt in die Augen.
    »Que paso?« fragte sie.
    »Was dort passiert ist? Gar nichts. Sie waren überrascht, daß ich noch am Leben bin. Dann boten sie mir an, daß sie mir mein Musiker-Stipendium weiterzahlen. Ich habe abgelehnt.«
    »Warum?«
    Statt einer Antwort hob er ihr seine Hände entgegen. Sie nahm sie, küßte sie zärtlich und drückte sie gegen ihre Wangen. Sie konnte fühlen, wie steif und hart seine früher so beweglichen Finger nun waren. Und trotz geschlossener Augen sah sie die feurigen Narben auf seinen Händen.
    »Du weißt noch gar nicht, was du auch mit diesen Händen alles fertig bringen wirst. Und außerdem: Akupunktur wird dir helfen«, sagte sie.
    »Na gut, wenn ich es ausprobiert habe, können sie mir immer noch ein neues Stipendium geben«, sagte Bird unwillig, »bis dahin möchte ich mich lieber einfach nur nützlich machen.«
    »Maya hat alle deine Gitarren gut aufgehoben. Sie sind oben im großen Schrank.«
    »Wie liebenswürdig von ihr«, gab Bird ironisch zurück. Madrone sah, wie Wut in ihm hochstieg, wie seine Halsadern anschwollen. Sie seufzte und sagte nichts mehr.
    Es war nicht das einzige Thema, das sie in ihren Gesprächen nicht mehr berührten, auch andere waren tabu. Nur selten fühlte sich Madrone noch völlig einig mit Bird. Viel öfter hörte sie verhaltenen Zorn in Birds Stimme, und sie wartete nur darauf, daß dieser Zorn hervorbrechen würde.
    Sie seufzte wieder und fragte sich, wovon sie nur immer so müde war. Warum fühlte auch sie sich so unzufrieden? Sicher, Sandy war tot, aber sie konnte schließlich nicht ewig um ihn trauern. Sie hatte Bird ermutigt, Sandys altes Zimmer zu beziehen und Sandys alte Kleidung zu tragen, denn Birds eigene Sachen waren schon lange verschwunden. Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Jetzt sah sie ständig die vertrauten Kleidungsstücke an einem nicht ganz so vertrauten Körper. Sie spürte ihr Herz schlagen. Aber er blieb Bird, er war nicht Sandy.
    Wie leer die Welt doch war seit Sandys Tod, flach, langweilig, freudlos.
    Das war nicht fair gegen Bird. Sie spürte, sie liebte ihn ebenfalls. Doch Bird war nicht mehr der, der er einmal gewesen war. Der Bird, den sie gekannt hatte, war einfach und freundlich gewesen, hatte ein offenes Gemüt wie ein blauer Frühlingsmorgen. Ihn zu lieben war, wie in einen klaren See zu springen, einzutauchen in glasklare, zauberhafte Tiefen. Es hatte nichts zu verstecken gegeben. Doch der Bird von heute war zur Hälfte ein Fremder, der einen schmerzgepeinigten Körper mit sich herumschleppte und über diese Schmerzen nicht einmal mit den Steinen sprechen würde. Aber auch sie hatte ihre eigenen Probleme und Geheimnisse.
    »Ab morgen gehe ich wieder arbeiten«, sagte Madrone.
    »Fühlst du dich wirklich stark genug?«
    »Ich schaffe es schon«, lächelte sie.
    Bird schnaubte verächtlich.
    »Ich muß. Es gibt so viel zu tun, gerade jetzt, während die Epidemie tobt. Ich kann mich nicht ewig ausruhen.«

    ✳✳✳

    Madrone spürte sofort, daß etwas nicht stimmte. Das Schweigen im Versammlungs-Raum des Krankenhauses zeigte es ihr. Es war nur eine kleine Gruppe, die sich diesen Morgen getroffen hatte. Sam, Lou, Aviva hatte Lourdes mitgebracht, die junge Hebamme, außerdem war da noch Rick, der Kräuterspezialist, der Sandys Platz eingenommen hatte. Sie drehten sich alle nach Madrone um, als sie aufseufzend in einen der großen alten Lehnstühle sank, die hier herumstanden. Der kurze Weg zum Spital hatte sie mehr ermüdet als sie gedacht hatte.
    »Was willst du hier?« knurrte Sam sie an.
    »Ich fühle mich stark genug, wieder zu arbeiten«, antwortete Madrone.
    »Wenn ich das

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