Das Fünfte Geheimnis
»Ich wollte mich nur nützlich machen«, sagte er leise, »ich möchte nicht nur herumsitzen. Ich wollte etwas für diesen Garten tun.«
Madrones Augen füllten sich mit Tränen. »Du trägst ständig seine Kleider«, weinte sie und wußte doch, daß sie unfair war. Sie hatte ihm die Kleidungsstücke selbst gegeben, und nun wollte sie ihm diese Kleidung am liebsten vom Körper reißen. Und dabei liebe ich ihn, dachte sie. Was ist nur los mit mir?
Sie starrten sich böse an. Ruhig, nachdenklich zog Bird sich Sandys Hemd über den Kopf, stieg aus den Jeans und legte alles sorgfältig zusammengefaltet auf den Boden. Nackt und schweigend drehte er sich um und ging.
Madrone griff voller Zorn nach der Schaufel und pflanzte den ausgegrabenen Schwarzwurz an der alten Stelle wieder ein. Schlaff hingen die Blätter herunter. Sie warf sich zu Boden, schmiegte ihr Gesicht in die Kleidungsstücke und weinte.
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Maya saß lesend im Wohnzimmer. Bird kam herein, nackt, schwitzend, mit wütendem Gesicht. »Willst du mir sagen, was los ist?« fragte sie völlig überrascht.
Er schüttelte den Kopf. Ihm war nicht nach Gesprächen und Erklärungen. Er konnte Madrone im Garten weinen hören. Am liebsten wäre er zurückgegangen und hätte sie getröstet. Aber Arme und Beine schmerzten, und die Treppe nach oben sah aus, als würde er nie dort hochkommen. Vielleicht hatte sich der Zustand seines Beins verschlimmert? Gewiß, er konnte damit gehen. Aber Treppensteigen war jedesmal eine Tortour, egal ob hinauf oder hinunter.
In diesem Moment hörten sie Lärm von der Vordertür. Sie wurde aufgerissen und wieder zugeschlagen. Schnelle Schritte klangen auf der Treppe. Jemand rief: »Wir sind wieder zu Hause! Wir sind wieder da!«
Sie waren vom Flußdelta zurück, Manzanita, Sage und Holybear. Nita stürmte zuerst ins Zimmer, das Haar flog ihr wild ums Gesicht, sie fiel Maya um den Hals und küßte sie ungestüm. Sage und Holybear folgten etwas langsamer. Sie trugen große Körbe voller Gemüse und Früchte, die sie mit Mühe auf den Tisch hievten.
»Wo ist Bird?« rief Sage, »ist er wirklich wieder hier?«
Dann umarmten sie alle Bird fast gleichzeitig, das Stimmengewirr wich einer glücklichen Zufriedenheit. Von draußen hörte man plötzlich wieder das Schluchzen von Madrone. Sandy hätte dabei sein sollen, bei diesem Wiedersehen, aber nun war er tot. Und da waren noch so viele, die auch hätten dabei sein sollen. Plötzlich schwebten die Geister der Toten im Raum.
Doch dann wurden sie wieder ruhiger und sahen einander an. Nita, die nie sehr lange traurig sein konnte, lächelte als erste. Sie war kleiner als Bird sie in Erinnerung hatte. Er blickte auf sie herunter, sie schien hauptsächlich aus wirrem, langen Haar zu bestehen. Auf ihrer Stirn hatten sich einige neue Falten eingegraben. Doch sonst schien sie unverändert. Holybear war von Kopf bis Fuß in ein rosafarbenes Gewand gehüllt. Seine helle Haut vertrug Sonne und Ozonstrahlung nicht besonders gut, deswegen schützte er sein Gesicht mit einem breitkrempigen Strohhut. Seine ungebärdige rotgelockte Haarflut ließ ihn noch größer und üppiger aussehen als er ohnehin war. Er blinzelte Bird über die herzförmigen Gläser seiner Sonnenbrille an.
»Du bist es wirklich!« strahlte er übers ganze Gesicht, »que milagro! Wir haben echt gedacht, du bist tot.«
»Dein Pech!« gab Bird grinsend zurück und klopfte Holybear auf die Schulter.
»Madrone hat die Nachricht deiner Rückkehr überall verbreitet«, fuhr Holybear fort, »und so haben wir unsere Laborexperimente erstmal an den Nagel gehängt.«
Und Sage lächelte: »Diosa! Verdammt gut, dich wieder zu sehen!«
»Euch auch«, gab Bird zurück, »ihr seht aus wie immer.« Mit ihren haselnußbraunen Augen und dem warmen Licht der Nachmittagssonne auf ihrem goldenen Haar erinnerte Sage ihn an ein reifes Kornfeld. Ihre Haut war dunkelbraun gebrannt, und Maya runzelte die Stirn. Vor der Ozonstrahlung müßte Sage sich mehr in acht nehmen, dachte sie bei sich.
»Du bist zu viel in der Sonne«, sagte sie. »Du wirst noch Hautkrebs bekommen.«
Sage lächelte noch mehr: »Ich bade jeden Abend in Aloe Vera.«
Bird spürte, wie sein verwundetes Bein immer mehr schmerzte. Da er nackt war, konnten alle sehen, wie sich seine Muskeln krampfhaft zusammenzogen, als er versuchte, das Gleichgewicht zu halten.
»Du bist verwundet?« fragte Nita.
Er schüttelte den Kopf: »Nein, mir geht es prima.«
»Ich habe einen
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