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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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rasiert, dufteten nach Kölnischwasser und taten sehr festlich und offiziell. Loki hatte einen dicken schwarzen Reisekoffer dabei.
    »Wir sehen anscheinend ziemlich verdächtig aus«, verkündete er fröhlich. »Ein Polizist wollte unsere Ausweise sehen. Direkt vor der Haustür.«
    »Und mit so superklugen Augen!«, fügte Baldur hinzu. »Er versteht alles, kann es nur nicht ausdrücken.«
    Ich mochte den beiden an Frohsinn und Übermut nicht nachstehen.
    »Wahrscheinlich dachte er, ihr seid Immobilienmakler. Hier taucht des Öfteren solches Gesindel auf und schnüffelt herum. Wohnlage still und zentral.«
    Baldur und Loki setzten sich in die Sessel.
    »Mitra wollte, dass das Duell im Zirkus stattfindet«, sagte Baldur.
    »Na gut«, erklärte Loki sich bereit. »Also, die Bedingungen des Duells fordern, dass du und dein Widersacher je ein Gedicht zu verfassen habt. Die Form des Gedichts ist vorgeschrieben: ein vampirisches Sonett.«
    »Was soll das sein?«
    Loki sah Baldur fragend an.
    »Haben wir dir das etwa vorenthalten?«, wunderte sich dieser. »Ein bedauerlicher Lapsus! Das vampirische Sonett besteht aus zwölf Zeilen. Verslänge, Reim oder nicht Reim -das bleibt alles dir überlassen. Hauptsache, die letzte Zeile ist so gebaut, dass sie allen vorausgehenden gewissermaßen den Sinn absaugt, ihn auf einen kürzesten Nenner bringt. Sie muss die Quintessenz des Gedichts enthalten. Das steht symbolisch für die Sublimation von roter Flüssigkeit zu Bablos, das du dann der Muse aller Jungstecher in ritueller Form kredenzt. Kapiert?«
    »So ungefähr«, sagte ich.
    »Aber diese Vorgabe ist eher lyrischer Natur«, fuhr Baldur fort. »Das heißt, sie ist nicht sehr streng. Jeder entscheidet selbst, wie er den Sinn des Gedichts in einer einzigen Zeile zusammenfasst. Denn letztlich kennt nur er diesen Sinn, nicht wahr?«
    Loki nickte eifrig.
    »Und noch eine Regel hat das vampirische Sonett. Es ist als Treppenleiter rückwärts geschrieben. Sozusagen stufenweise tastet sich der Vampir von Sinn zu Sinn, bis ganz hinauf zum Allerhöchsten ... Auch das ist, nebenbei gesagt, nicht zwingend vorgeschrieben.«
    »Treppenleiter rückwärts, wie soll ich das verstehen?«
    »Wie bei Majakowski, nur umgekehrt«, erläuterte Baldur.
    Ich begriff nicht ganz, was er meinte, fragte aber nicht weiter - wenn die Regel nicht zwingend vorgeschrieben war, musste ich sie nicht kennen.
    Loki blickte zur Uhr.
    »Wir sollten jetzt anfangen. Ich bereite alles vor. Geh in der Zwischenzeit noch mal aufs Klo. Wenn du Pech hast, bist du die nächsten vierzig Stunden paralysiert.«
    Er stellte den Koffer auf den Tisch. Ich verließ den Raum und ging zur Toilette.
    Irgendwo las ich, viele bedeutende Menschen seien von ihren großen Ideen auf dem Örtchen heimgesucht worden. Daran scheint etwas zu sein - denn ausgerechnet dort kam mir nun ein zwar nicht ganz koscherer, doch verheißungsvoller Gedanke.
    Verheißungsvoll genug, dass ich keine Sekunde zögerte, ihn auszuführen. So wie ein elender Obdachloser in der Metro nach einer am Boden liegenden Geldbörse greift.
    Ich ging zurück auf den Korridor und von da auf Zehenspitzen zum Kabinett, dessen Tür ich leise aufzog. Eilte zum Schreibsekretär, klappte die Lade herunter (was, anders als bei den Schüben der Archivwand, ohne Knirschen und Knarren abging) und griff aufs Geratewohl, bemüht, auch hier kein Geräusch zu machen, nach dem erstbesten der dort herumliegenden Reagenzgläschen. Es war Tjuttschew + alban, source code. Genau das Richtige! dachte ich und kippte mir den Inhalt in den Mund.
    »Rama, wo bleibst du denn?«, rief Loki aus dem Wohnzimmer.
    »Komme sofort!«, rief ich zurück. »Ich will hier nur noch die Fenster schließen. Für alle Fälle.«
    Sekunden später betrat ich das Wohnzimmer.
    »Aufgeregt?«, fragte Baldur. »Du bist so blass.«
    Ich sagte nichts darauf. Schon deshalb nicht, weil die geschluckte Probe etwas sehr reichlich gewesen war; es konnte leicht passieren, dass ich Unpassendes zusammenlallte.
    »So«, sagte Loki. »Das hätten wir.«
    Ich blickte zum Tisch.
    Dort stand eine merkwürdige Anlage aufgebaut: das Notebook verkabelt mit einem Handy sowie dem Gerät, das ich im Koffer gesehen hatte; jetzt blinkte an der Box ein rotes Lämpchen. Neben ihr lag ein schwarzes Stoffband mit Häkchen und Gummizügen. An dem Band war eine Injektionsspritze befestigt, an ihr wiederum viel komplizierte Elektromechanik. Von dieser verliefen zwei Kabel zur blinkenden Box. Außerdem

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